Es ist noch gar nicht lange her, dass ich mein Langzeittestbike für diese Saison das erste Mal nicht ganz unaufgeregt in den Händen hielt (s. auch hier). Kurze verspielte Geometrie, klare Linien, Carbon, soweit das Auge reicht, und ausgestattet mit feinsten Parts – kein Wunder landeten immer wieder Fahrer mit diesem Bike auf dem Siegerpodest der heimischen Enduro-Wettbewerbe. Aber würde es auch unter meiner Führung seinem Namen gerecht werden? Würde auch ich damit die Trails attackieren können?

She's short and pretty, like the polar opposite of myself!
Kurz, kompakt und schön anzusehen, steht das Marin im krassen Gegensatz zu seinem Fahrer.

Seitdem ist eine geraume Zeit vergangen, in der das Bike viele, viele Testkilometer auf unterschiedlichstem Terrain bei allen möglichen Witterungsbedingungen zu absolvieren hatte. Bereits nach den ersten Ausfahrten war klar, dass gegenüber der Serienausstattung ein paar Modifikationen vorzunehmen wären, teils um das Handling zu verbessern, aber teils auch, um es an die persönlichen Vorlieben anzupassen.

At Bike Park Wales's new blue trail it seemed like the perfect bike.
Für die neue Blue Line im Bikepark Wales scheint das Marin wie geschaffen.

Ausstattung

Der Easton Haven-Alulenker und der viel zu lange 70-mm-Vorbau mussten einem 50 mm langen Joystick Digger und einem dazu passenden Analog-Carbonlenker weichen. Dazu passend kamen ein Paar schlanke Fabric-Griffe und ein brandneues Sattelmodell aus dem gleichen Hause zum Einsatz, um für mehr Komfort zu sorgen. Wie viele andere brach auch diese E*thirteen-Kettenführung an der üblichen Kunststoffschwachstelle und wurde kurzerhand durch ein haltbareres Carbonmodell von MRP ersetzt.
Schließlich wurden noch die beiden allzu pannenanfälligen Hans Dampf gegen einen wesentlich zuverlässigeren HighRoller II vorne und einen leicht rollenden Ardent hinten ersetzt, beide von MAXXIS.

Cockpit changed to Joystick and Fabric.
Das Cockpit wurde meinem aggressiveren Fahrstil angepasst.
Slender Fabric grips.
Angenehme Griffe von Fabric …
Fabric saddle, more comfort and style than that of the Marin's own.
… sowie ein Fabric-Sattel sorgen für mehr Style und vor allem Komfort als die original verbauten Parts von Marin.

Der Rest der Komponenten erwies sich als gut und zweckmäßig, bis auf die SOUTHPAW-Fernbedienung der KS Sattelstütze, genauer gesagt deren Lenkerklemmung. Bietet diese unabhängig vom Anzugsmoment schon auf Alu kaum Grip, so findet sie am Carbonlenker gar keinen Halt. Daran ändert auch der Einsatz von reichlich Tape oder Montagespray herzlich wenig, die Klemme will und will nicht fest werden und so dreht sich der zierliche Hebel weiterhin munter unter dem Daumendruck des Fahrers weg. Ebenfalls nervig ist der zu locker sitzende Freilaufkörper an der DT Swiss-Hinterradnabe, der dazu führt, dass bei nahezu jeder Demontage des Hinterrads die 11-fach-Kassette abfällt.
Obwohl ich normalerweise kein großer Fan der SRAM Guide-Bremse bin, überraschte mich das hier verbaute Set mit einwandfreier Funktion und Zuverlässigkeit selbst unter widrigsten Bedingungen.

High Roller 2 is always a good option for a more grip and strength than the skinny Hans Dampfs.
Der HighRoller II ist dem schwachen Hans Dampf in puncto Grip und Haltbarkeit um Längen voraus.
The spacers have since been removed from below the stem to create more grip on the front, countering the short frame.
Kürzlich wurden die Spacer unter dem Vorbau entfernt, um mehr Druck auf das Vorderrad zu bekommen.
Ah the KS Lev's Southpaw lever, the bane of my life!
Die SOUTHPAW-Fernbedienung für die Kind Shock-Sattelstütze erwies sich einmal mehr als völlig unbrauchbar.

Nach nun mittlerweile 500 km hat sich das Bike als wunderbar haltbar und zuverlässig erwiesen. In der ganzen Zeit mussten lediglich die Kette und das Seil der Remotestütze ersetzt werden, außerdem musste ich die sich ständig lösende Schraube eines Hinterbaulagers mit LOCTITE sichern. Der Allgemeinzustand der Lager und das Finish des Carbonrahmens dürfen aber nach wie vor als absolut neuwertig bezeichnet werden.

The chain has been changed and the E-Thirteen guide ditched for this great MRP carbon version.
Die Kette wurde bereits einmal gewechselt. Ebenso musste die E*thirteen-Kettenführung nach einem Defekt ausgetauscht werden.
The Maxxis Ardent, keeping things spinning fast for summer, soon to be changed for a more winter suited tyre.
Der MAXXIS Ardent rollt gut, wird aber in Kürze einem wintertauglichen Modell weichen müssen.

Fahrwerkseinstellung

Bei einem Gewicht von 85 kg versuchte ich es anfänglich mit einem SAG von 20 %, doch was sich im Aufstieg durchaus brauchbar anfühlte, erwies sich bei hohen Geschwindigkeiten als zu nervös und insgesamt als zu wenig sensibel. Nach vielen Experimenten bin ich nun bei einem Wert von 30 % gelandet und insgesamt mit der Sensibilität sehr zufrieden.

She's a spritely thing under acceleration!
Das Marin lässt sich sehr effektiv beschleunigen, was Fahrer und Bike nicht selten zu einem Luftsprung animiert.

Bergauf

Der sehr effiziente Hinterbau in Kombination mit dem RockShox Monarch Plus mit Climb Switch-Technologie verhelfen dem Attack Trail zu hervorragenden Klettereigenschaften. Diese werden in der Praxis durch das kurze Oberrohr (606,4 mm), den kurzen Radstand (1.167 mm) und den zu flachen Sitzwinkel (73,5°) jedoch stark eingeschränkt. Besonders die letzten beiden Punkte lassen das Vorderrad in sehr steilen Abschnitten schnell den Bodenkontakt verlieren.
In engen Kurven aber erweist sich die kurze Geometrie in Verbindung mit dem 66,5° flachen Lenkwinkel und dem nur 33,5 cm über dem Boden sitzenden Tretlager als sehr wendig und verspielt. Dies gilt übrigens für die Abfahrt ebenso wie für den Aufstieg.

This bike changes direction like a backed up politician!
Schnelle Richtungswechsel sind eindeutig die Domäne des Trail Attack!

Kurven

Auf kurvigen Trails schlägt dann die große Stunde des Marin. Einfach den Lenker in die gewünschte Richtung einschlagen und schon folgt das Bike exakt und unmittelbar der gewählten Linie. Das funktioniert so spontan und mit derartiger Leichtigkeit, dass man meinen könnte, Marin hätte die Anlieger für das Attack Trail gleich mit erfunden. Ein kurzes Bike mag ja so manche Nachteile besitzen, aber in engen Anliegerkurven hat man mit einer kompakten Geometrie in Sachen Fahrspaß eindeutig die besseren Karten.
Als Location für die Fotostrecke haben wir die neue Blue Line im Bikepark in Wales gewählt. Mit einer Fahrzeit von ca. 9,5 min ist sie der längste blaue Trail im gesamten Königreich und fühlt sich dabei an wie ein einziger schneller Pumptrack. Bei allen Abfahrten während unseres Shootings – und das waren nicht wenige – habe ich mir zu keiner Zeit ein anderes Bike gewünscht, selbst wenn ich in manchen schnellen Kurven auf losem Untergrund etwas Grip vermisste. Ob das den RockShox-Federelementen geschuldet war und mit einem plüschigeren FOX-Fahrwerk besser gewesen wäre, werden wir wohl nie erfahren.

A real fun bike to ride.
Mit dem Marin auf dem Blue Trail: Fahrspaß pur.

Bergab

Bergab hinterlässt das Marin je nach Untergrund einen zwiespältigen Eindruck. Auf engen Wurzel- oder Felspassagen schlägt es sich wacker und hält stets den vorgegebenen Kurs. Auf schnellem und ruppigem Terrain muss man aber einmal mehr dem kurzen Radstand Tribut zollen und hat relativ schnell mit einer nervösen Front zu kämpfen. Wer damit leben kann, der hat an anderer Stelle außerordentlich viel Spaß, denn genau wegen seiner Geometrie verleitet es den Fahrer stets, jeden noch so kleinen Kicker und ein wenig Airtime mitzunehmen. Kein Wunder, lässt sich das Bike doch derart leicht abziehen, dass es einem kaum eine Wahl lässt, als das auszukosten. Hier hat die eben noch kritisierte, kompakte Geometrie durchaus ihre Vorzüge.

As if on rails on the tight stuff.
In engen Anliegern fährt das Marin wie auf Schienen.

Vor Kurzem fuhr ich mit dem Marin zum von Steve Peat organisierten Steel City DH, einem Downhillwettbewerb auf steinigem, parkähnlichen Kurs, der mit jeder Menge Sprüngen gespickt war. Und siehe da, der kurze Radstand spielte hier erneut seine Trümpfe aus und ich wurde mit dem Attack Trail vierter in meiner Klasse. Der resultierende Fahrspaß hängt also auch stets vom jeweiligen Einsatzzweck eines Bikes ab. Bis zum jetzigen Zeitpunkt hatte ich mit dem Marin davon jede Menge. Das beginnt oft schon beim Ausladen aus dem Van, wo es nicht selten aufgrund seiner bestechenden Optik bewundernde Blicke auf sich zieht. Der konnten auch die zahlreichen Testkilometer bisher nicht das Geringste anhaben. Wer mich kennt, der weiß, dass ich lieber fahre als pflege. Daher bin ich bei der Reinigung meiner Bikes nicht gerade zimperlich und schrecke auch vor häufigem Dampfstrahlereinsatz nicht zurück. Dass die Hinterbaulager darunter noch in keinster Weise gelitten haben, darf durchaus als Qualitätsmerkmal gewertet werden. Sicherlich kann man das bei einem Preis von 6.850 € für das 12,7 kg schwere Bike auch erwarten und wir sind schon sehr gespannt, ob das Marin Attack Trail auch im bevorstehenden Testwinter seine Zuverlässigkeit weiter so eindrucksvoll unter Beweis stellen kann.

A tidy looking bike with the right amount of colour to carbon for a bling look.
Klare Linien und ein gelungener Mix aus Sichtkarbon und Kontrastfarbe ergeben ein stimmiges Gesamtbild.

Webseite: marinbikes.com

Text: Jim Buchanan Bilder: Isac Paddock


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