Paris, Mailand, New York? Passé! Fashion Shows gibt es auch im Bikepark oder auf den Trails vor der Haustüre – und natürlich en masse auf Instagram! Hand aufs Herz: Wer will auf dem Bike nicht cool aussehen? Wir haben die populärsten Styles und Stereotypen für euch und zeigen euch, was dahintersteckt. Total seriös und ernst – natürlich!
Wenn man am Trail-Einstieg ankommt, fühlt es sich manchmal fast so an, als würde man einen Laufsteg betreten. Das gilt nicht nur für die durchgestylten EWS-Profis: Passen die Socken zum Outfit? Geht der obligatorische Stilbruch klar? Kann ich mich mit dem Helm der letzten Saison überhaupt in der Öffentlichkeit zeigen? Solche fundamentalen Fragen des Lebens hat man sich als Biker heutzutage in der Regel bereits gestellt, bevor man das Haus verlässt. Ob das bescheuert ist? Von wegen! Stylen führt häufig zu Trail Credibility, manchmal zu amüsanten Kreationen – und ja, manchmal auch das Biken ad absurdum, wie man es von manch räkelnder Instagram-Schönheit mit dem Motto „all the gear, no idea“ kennt.
Wer uns kennt, der weiß, dass wir es hassen, keinen Spaß zu haben. Und es geil finden, wenn jede und jeder einfach nur Spaß auf dem Bike hat! Genießt die folgenden Styles und Stereotypen, denen ihr sicherlich schon mal auf den Trails begegnet seid – vielleicht ist ja etwas Inspiration und Wahres mit dabei ;)
Der Trail Ninja
Das Motto ist klar: „Black is the new Black“. Purer Style, aber pures Understatement. An seinem Bike tut er alles, um Geräusche zu vermeiden: Alle Leitungen sind penibel geklemmt, der Kettenstrebenschutz ist per Eigenbau vergrößert und alle Lager sind so gut geschmiert, dass sie nicht einmal daran denken, zu knarzen. Manche Trail Ninjas gehen sogar so weit, dass sie Kette und Schaltwerk demontieren, um Klappern unmöglich zu machen. Auf irgendeine Weise schaffen sie es trotzdem immer schneller zum Trail-Einstieg als alle anderen. Auf der Abfahrt ist er so schnell weg wie er da ist, hält niemals an und haut den ein oder anderen Karate Kick auf Sprüngen raus. Ride first, ride hard, no mercy – Cobra Kai wäre neidisch!
Der Weekend Warrior
Der Weekend Warrior ist das Rückgrat jedes Wochenendtrips. Er lebt für das Wochenende und bricht dort aus seinem Alltag aus. Er kennt den Wetterbericht für alle Trail-Gebiete im Umkreis von 300 km und man munkelt, dass er sogar jeden Donnerstagabend mit Petrus telefoniert, um die Infos aus erster Hand zu erfahren. Was dann noch an Zeit übrig bleibt, nutzt er, um sich mit den neuesten YouTube-Videos im Großraumbüro hoch zu hypen. Wenn das Wochenende dann endlich da ist, geht er mit mehr Ausrüstung los, als man für eine Himalaya-Expedition bräuchte. So hat er mindestens drei Jacken für alle Witterungen, zwei Paar Wechselschuhe und Snacks für eine Kleinfamilie dabei. Jeder, der es wagt, sich dann über das Wetter zu beschweren, bekommt natürlich direkt neunmalkluge Sprüche zu hören wie etwa „es gibt kein schlechtes Wetter nur die falsche Kleidung“, „Vorbereitung ist alles“ oder „I was born ready“. Er ist der festen Überzeugung, dass er durch den Konsum von möglichst viel nachhaltigen Klamotten die Welt retten kann und hat – bequemerweise – einen Amazon Prime Account. Das Einzige, was den Weekend Warrior aus der Fassung bringen kann, ist, wenn er im Trail Center von einer total schlecht ausgerüsteten Frau, die das Bike von ihrem Freund geliehen hat, mit Turnschuhen auf den Flatpedals und Kneegap zwischen Knieschoner und Yoga-Shorts abgezogen wird. Gnar findet der Weekend Warrior vor allem in seinen Vorstellungen!
Der XC-Dude
Der XC-Dude ist – genau wie Corey Hart – zu jeder Tages- und Nachtzeit mit der schnellsten aller schnellen Brillen unterwegs. Er trägt nie etwas anderes als Bib-Shorts. Außer vielleicht Bib-Tights im Winter. Und selbst wenn Mark Zuckerberg prophezeit, dass wir in naher Zukunft im Metaverse leben werden, so juckt das den XC-Dude überhaupt nicht. Warum? Ganz einfach: Er lebt bereits im Stravaverse – und da geht’s viel mehr ab. Während Menschen mit zu viel Geld virtuelles Land im Metaverse kaufen, gewinnt er richtig Land und Meter im Stravaverse oder in Watopia – und zieht alle ab. Seine komplette Ernährung besteht aus Energy-Riegeln, Energy-Gels und Energy-Drinks. Das Einzige, das noch größer ist als sein Ego, ist sein Kettenblatt.
Die Genießerin
Die Genießerin ist euch so vielleicht noch gar nicht aufgefallen. Denn sie genießt einfach für sich den Moment, am liebsten ganz entspannt und ohne Instagram-Foto. Das überlässt sie den Mountainbike Influencern und Influencerinnen, die mehr fotografieren als biken. Doch lasst euch von ihrer unscheinbaren Art nicht täuschen! Sie kann ganz schön abgehen, wenn sie will, muss aber niemandem was beweisen. Sie hat gerne epische Momente auf dem Bike, muss aber nicht direkt allen davon erzählen. Sie ist zwar unauffällig, aber trotzdem immer mit coolem Style und solidem Material unterwegs.
Die Racerin
Ähnlich wie Keanu Reeves in „Speed“ ist die Racerin auf ihrem Bike nie langsamer als 50 Meilen pro Stunde unterwegs. Um diese ganzen Tiefenmeter wieder hochzukommen ist sie natürlich auf Liftunterstützung angewiesen und der Bikepark ist ihr zweites Zuhause. Jedes Gespräch, das sie führt, endet auf wundersame Weise immer irgendwie in Erzählungen über wilde Inside Lines und Two Wheel Drifts. Sie fährt aber auch nicht einfach ihr Fahrrad, jede Sekunde auf dem Bike ist für sie Training. Wenn die Rennsaison da ist, lebt sie monatelang im eigens umgebauten Van, schläft darin aber trotzdem zusammengerollt auf dem Fahrersitz, da der restliche Platz von Werkzeug und Ersatzteilen eingenommen wird. Die EWS-Startnummer bleibt auch gerne nach dem Rennen noch am Lenker, als selbstredende Erzählung über ihre Heldentaten.
Der Fitness-Trainer
Der Fitness-Trainer schwört darauf, täglich die Klamotten zu wechseln. Doch das fällt nie auf, weil sein kompletter Schrank aus Adidas-Trainingsanzügen besteht. Die passenden Klick-Schuhe mit drei Streifen hat er selbstverständlich auch! Es gehen sogar Gerüchte herum, dass er bereits im Trainingsanzug geboren wurde. Denn Training ist seine Religion. Seine Freunde sehen ihn nur, wenn sie mittrainieren, denn Freizeit oder Erholung gibt es für ihn nicht. Entgegen der Annahme trainiert der Fitness-Trainer niemanden anders, sondern vor allem sich selbst: eifrig, konsequent, strukturiert und ohne Erbarmen. Dass er manchmal auf einem E-MTB unterwegs ist, ist bislang – erschreckender Weise – noch niemandem aufgefallen. Er spricht alle Leute mit „Jungs“ oder „Männers“ an. Auch wenn er mit einer einzelnen Person redet.
Der Freeracer
Steeze ist für ihn das Wichtigste. Alles andere – vor allem Unsinn wie Aerodynamik oder gar Funktionalität – ist zweitrangig. Der Freeracer ist überzeugt davon, dass eine Goggle mit Halbschale cool aussieht, auch wenn er der Einzige ist, der diese Meinung vertritt. Möglichst groß muss sie natürlich sein – je größer umso cooler! Sein Bike hat noch nie Waldboden berührt, da er damit immer nur im Skatepark herum chillt und jedem, der nicht schnell genug abhaut, von irgendeinem „Stairset of Doom“ erzählt.
Der Zahnarzt
Für den Zahnarzt zählen bei einem Outfit nur zwei Sachen: Es muss das Neueste und das Angesagteste sein, das es zu kaufen gibt. Oder am besten nicht mehr zu kaufen gibt! Seine Dollars sitzen für nichts lockerer als für limitierte Sondereditionen. Denn mit ihnen kann er sich nicht nur schmücken, sondern sie dienen ihm auch als clevere Investitionen. Rare Bike-Teile sind die neuen Aktien! Sein Outfit ist immer perfekt gematcht, frisch gewaschen und sauber gebügelt – falls nicht, greift er gerne auch mal zum blubbernden Veuve Clicquot, um seine 500-€-POC-Latzhose zu reinigen. Aus der Magnum-Flasche versteht sich. Der Zahnarzt könnte alle haben. Was ihn richtig wählerisch gemacht hat. MAXXIS, Rapha, POC und Patek Philippe – irgendwo hat er mal gehört, dass das die angesagtesten Marken seien und stellt sie gerne zur Schau. Sein Santa Cruz hat er mittlerweile gegen ein Orbea eingetauscht – in Gold versteht sich. Das passt so gut zur Kashima-Beschichtung seiner Federelemente, die im schicken Carbon-Rahmen stecken. Schwere Materialien wie etwa Stahl verachtet der Zahnarzt, es sei denn, es handelt sich um limitierte Sondereditionen wie etwa im Falle seines Chronometers. Ach ja, falls wir es noch nicht erwähnt haben sollten: Der Zahnarzt ist von Beruf in der Regel gar kein Zahnarzt!
Was jetzt – Fashion Fiasko oder Trail Hero?
Der Grat ist schmal zwischen drunter oder drüber – aber ganz ehrlich: Macht einfach. Zieht an, worauf ihr Bock habt und macht die Bike-Welt bunter! Und nehmen wir alles nicht so ernst.
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Text: Simon Kohler Fotos: Robin Schmitt, Peter Walker, Thomas Weiss