Wer hat eigentlich euren Lieblings-Trail gebaut? Ihr habt keine Ahnung? So geht es vielen. Doch jede geile Line wurde irgendwann von jemandem erdacht, erschlossen und erschaffen. Warum wird vielen dieser stillen, aber hart ackernden Helden mit Schaufel nicht die Ehre zuteil, die ihnen gebührt? Und würden sie das wollen?
Wir fahren sie, zahlen meist keinen Cent dafür und wissen dabei oft nicht einmal, wem wir den ganzen Spaß überhaupt zu verdanken haben: Wer sind eigentlich die Schöpfer der geilen Lines, die wir gerade so feiern? Was ist das für eine Crew, die für dieses Werk verantwortlich ist? Niemand scheint wirklich zu wissen, wo unser Lieblings-Trail überhaupt herkommt. Kein Namensschild am Einstieg zu finden, keine anderen Rider weit und breit zu sehen, und selbst die Karte von Strava zeigt an dieser Stelle nichts als dichten Wald. In Bikeparks und offiziellen Revieren ist die Erwartungshaltung enorm hoch, hochwertige Trails werden von den zahlenden Nutzern schlicht vorausgesetzt. Die haben dort schwungvolle Namen wie A-Line, Triple 8 oder Rollercoaster. Doch wer sie gebaut hat, wissen wir meist nicht – wie bei einem geilen Song, dessen Autor nie beim Namen genannt wird. Klar ist aber, dass kein Trail von Geisterhand entsteht. Im weltbekannten Bikepark genauso wie am Geheimtipp im Stadtwald braucht es Kreativität, Vorstellungskraft, Herzblut, schmutzige Hände und einige Shirts voller Schweiß, um aus einem Stück Gelände etwas zu erschaffen, das unser Bike-Herz hüpfen lässt und uns ein fettes Grinsen ins Gesicht tackert. Also, verdammt nochmal: Welche schaufelschwingenden Helden haben dieses Ding still und heimlich gebaut? Und … wünschen sie sich überhaupt mehr Aufmerksamkeit?
Den Trail-Bauern da draußen gebührt viel mehr Respekt, als sie aktuell bekommen. Wir wollten erfahren, warum sie so für eine Arbeit brennen, die oft im Stillen stattfindet und nur von wenigen wirklich anerkannt wird. Wir haben drei hochkarätige Vertreter dieser geheimnisvollen Spezies aufgetrieben: einen, auf dessen Trails ihr in eurem Once-in-a-Lifetime-Bike-Urlaub in Whistler bestimmt auch surfen werdet; einen, auf dessen Werke sich jährlich die weltbesten Gravity-Biker vor Getränkedosen im Rampenlicht battlen; und einen, der die Öffentlichkeit scheut und seine edlen Lines klammheimlich ins Gelände zaubert. Jetzt kennen wir die Lieblingswerkzeuge der Trail-Bauer, ihre Meinung zu Strava und einen der Digger hinter Brett Rheeders Rampage-Sieg 2022. Ach, und … wisst ihr eigentlich, was die 3-F-Regel bedeutet?
Unsichtbare Helden, aber warum?
Trail-Bauer bekommen vielerorts kaum etwas von den Props ab, die die Rider ernten, wenn diese letztendlich vor gezückten Handys über perfekte Sprünge und durch präzise geshapte Kurve shredden. Auf den Bildern und Videos sehen wir Bikes, Tricks und spritzenden Dreck – leider aber nur selten die Schaufeln, die die Erde überhaupt erst an die richtige Stelle hieven, in Form schieben und festklopfen – und es danach wieder tun. Warum ist das so? Weshalb sind die Erschaffer vieler unserer Lieblings-Trails unbekannte Identitäten im Hintergrund, anstatt stolz mit Namen und Gesicht am Wegesrand zu prangen?
Die Gründe dafür reichen vom selbstlosen Idealismus mancher Digger über Versteckspiele mit selbsternannten Wald-Sheriffs bis hin zu Dauerdiskussionen über die Legalität oder Illegalität der von ihnen gebauten Trails.
Es wäre uns sehr wichtig, dass du unsere genaue Location nicht verrätst. Wir nennen sie liebevoll Loam Valley. – Chris, irgendwo im Schwarzwald
Bei der Trail-Bau-Crew um Chris trifft Letzteres zu. Er widmet sich in seiner Freizeit mit seinem engen Verbündeten Valle und einer erlesenen Crew einer ganz besonderen Ecke im Schwarzwald, die wir hier nicht genauer benennen sollen. Für die Heimlichtuerei haben die Jungs und Mädels gute Gründe, die herzlich wenig mit Egoismus zu tun haben. Im Gegenteil: Das Shredden mit echten Gleichgesinnten ist für sie alle ein wesentlicher Antreiber für die Arbeit nach dem Feierabend. Das Problem liegt ganz woanders.
Doch von Beginn an: Entstanden ist seine Leidenschaft zum Schaufeln daraus, dass ihm das Trail-Angebot vor Ort einfach nicht gut genug war. Mittlerweile ist das Bauen für Chris und seine Truppe genauso zum Hobby geworden wie das Biken selbst. Geboren wird ein neuer Trail per Scouting zu Fuß, wobei er nach passendem Gelände und interessanten Features wie Felsen Ausschau hält, ohne gleichzeitig zu nah an Hochsitze von Jägern zu geraten. Dann beginnt für die Crew die mühsame Handarbeit mit Säge, Rechen und vor allem Wiedehopfhacke. Was ist denn das, fragt ihr? Laut Chris ein echter Game-Changer beim Trail-Bau!
Am liebsten baut Chris steile Loamer, auf denen es auch gerne grob hergehen darf. Aufgrund des steilen, engen Geländes in seinem Revier scheiden schnelle Ballerstrecken mit fetten Sprüngen aus. Seine Handschrift im dicht bewachsenen Loam Valley sind vielmehr steile, technische Lines, die natürliche Features eng miteinander verlinken – auch gerne mal mit einer überraschenden Schlüsselstelle mittendrin. „Wir bauen Trails für Fortgeschrittene“, grinst Chris. Jerry Traps inklusive.
Mit der geltenden 2-Meter-Regel macht es das Land Baden-Württemberg schwierig, Trails auf legale Weise zu befahren oder sogar neue zu bauen. Auch deshalb halten die Jungs und Mädels ihre Trail-Bau-Sessions lieber unterhalb des Radars. Doch der Hauptgrund dafür, dass sie große Aufmerksamkeit scheuen, ist nicht der Widerstand von Stadt oder Forstamt. „Die sind uns wohlgesonnen“, so die Schwarzwälder. Vielmehr müssen sie ihre Arbeit vor anderen Bikern schützen, um sie langfristig bewahren zu können.
Einige Biker verhalten sich wie die Sau am Trog. Fu** Strava! – Chris
Die lokale Bike-Szene blüht und nimmt das von der Loam Valley-Crew geschaffene Angebot dankend an – und zwar mehr, als der lieb ist: „Bei den meisten Bikern steht der Konsum im Vordergrund“, bedauert Chris. Statt Wertschätzung und angemessener Trail-Etikette erlebt er da draußen oft blanke Gier: Abkürzungen, eigenhändige Umbauten von Features und grobe Bremser in Kurven frustrieren ihn viel mehr als gesetzliche Hürden. Die Schwarzwälder würden sich wünschen, dass Biker, die ihre Trails mitbenutzen, auch selbst mal eine Schaufel in die Hand nehmen, wenn etwas kaputt gegangen ist oder es Pflege braucht. Solange sie aber diese Wertschätzung nicht erleben und sich auch die rechtliche Lage in Baden-Württemberg nicht ändert, sieht Chris die einzige Möglichkeit darin, die eigenen Trails weiterhin versteckt zu halten. Ganz nach der sogenannten 3-F-Regel: „Fahren, Freuen, Fresse halten.“
Aus dem Untergrund – für den Untergrund?
Trail-Bauer in rechtlich umstrittenen DIY-Revieren und inmitten gesetzlicher Einschränkungen, wie Chris im Süden von Deutschland, haben es schwer, von außen Anerkennung für ihre Leistung zu bekommen. Ganz anders sieht das in Szene-Orten wie Whistler aus, wo an jeder Straßenecke Freiläufe in Richtung Lift schnurren, Schaltungen klicken und das Biken einen enorm hohen Stellenwert genießt. Genau das ist das Revier des Neuseeländers Matt Robinson, der sich an seinem Arbeitsplatz im kanadischen MTB-Mekka keine Sorgen um Geheimhaltung machen muss.
Wenn er im Auftrag des Whistler Bikeparks bei Trails Hand anlegt oder neue erschafft, sind seine wichtigsten Werkzeuge nicht etwa eine Wiedehopfhacke, sondern erstmal Bagger und Motorsäge. Die Detailarbeit mit Rechen, Spitzhacken und Eimern erledigt dann ein Fußtrupp hinter ihm. Dieser entfernt störende Fremdkörper wie Steine, Stöcke und Wurzeln mit viel Hingabe aus dem Untergrund und gräbt zahllose Drainagen, um ein stabiles Fundament für ein Werk zu schaffen, das Tausenden von Reifenstollen möglichst lange standhalten soll. Dann noch ein schönes, stolzes Namensschild an den Eingang des fertigen Trails und fertig! Wie wär’s zum Beispiel mit … A-Line?
In der Gegend um Whistler wird uns Trail-Bauern durchaus Respekt entgegengebracht. – Matt Robinson
Das ist leider nicht die Realität von Chris im Loam Valley, wo es manch einem Rider anscheinend herzlich egal ist, durch wessen Arbeit der eigene Lieblings-Trail überhaupt erst entstanden ist – Hauptsache, er ist da. Doch zum Glück werden Digger nicht überall durch restriktive Vorschriften und rüpelhafte Mitnutzer zu einem Schattendasein gezwungen. Der harte Kern der Mountainbike-Szene hat den Schaufelnden sogar schon immer viel Anerkennung gezollt. Eigentlich ja klar, denn man muss seit jeher selbst ran, wenn man etwas wirklich Neues erschaffen will. Noch vor einem guten Jahrzehnt taten sich Biker in der gerade erst aufblühenden Szene noch schwer, überhaupt Trails zu finden. Heute erscheint es uns viel selbstverständlicher, dass es im nächsten Wald auch irgendwo eine gute MTB-Line gibt. Und dank Trailforks, Strava & Co. müssen wir auch gar nicht lange danach suchen. Wir sagen aber: Ehre, wem Ehre gebührt! Wer erst mal für seine eigenen Lines und Sprünge geschuftet hat, wird für immer auch die Arbeit der anderen Trail-Bauer respektieren.
In letzter Zeit rückten die Digger dank einiger Trends und Vorreiter verstärkt ins Rampenlicht: Brage Vestavik inszenierte in seinem Video für die X Games 2021 nicht nur seine Runs, sondern auch seine hart rackernde Crew, die schuftend Features in den norwegischen Wald zimmerte. #DeepInTheSesh ist das Schlagwort für Bauen und Fahren als emotionales Gesamtwerk. Am oberen Ende der Größenskala verwandeln die Macher der Fest Series jedes Jahr Tonnen von Dirt in haushohe Sprünge, um auf ihnen anschließend Airtime zu sammeln wie Münzen in Mario Kart. Auch hier gehört das Bauen fest zum Prozess. Und beim Freeride-Highlight Red Bull Rampage werden nicht mehr nur die besten Fahrer für ihre Leistung gekürt, sondern seit 2021 auch die besten Digger, die die ausgesetzten Lines in der Wüste von Utah überhaupt erst möglich machen. So wie Phil McLean, ebenso Kiwi, der 2022 zusammen mit Austin Davignon für einen gewissen Brett Rheeder schaufelte und nach dessen Sieg auch den Digger Award abräumte.
„Ich finde es unheimlich befriedigend, Features zu fahren, die man selbst mit viel Aufwand erschaffen und perfektioniert hat. Uns fehlten gute Sprünge, und um weiterzukommen, mussten wir uns einfach selbst welche bauen!“ – Phil McLean
„Ich habe schon vieles gebaut – rumpelige Wald-Trails, Lines für große Bikeparks und Trails im Hinterland, die nur per Heli zu erreichen sind. Mich motiviert das zufriedene Gefühl, dass meine Trails lange bestehen und sie den Menschen Freude machen werden.“ – Matt Robinson
Das klingt doch schwer nach Chris im Schwarzwälder Loam Valley?! Tatsächlich sagt auch Phil: „In meiner Freizeit werkle ich meistens an meinen eigenen Dirt Jump-Trails – für mich selbst und für andere, die Bock darauf haben.“ Und hier und da eben auch bei Rampage, Joyride und im Whistler Bikepark, quasi nur eine Randbemerkung … Auch Matt schaufelt, wenn nicht gerade an bekannten Bikepark-Klassikern in Whistler, immer noch gerne einfach mal für sich selbst und feiert auch bei schlechtem Wetter den Prozess des Bauens. Es steckt also verdammt viel Idealismus und Leidenschaft in den Herzen all dieser Digger. Die große Bühne riesiger Events scheint nicht der wichtigste Ansporn für den Schweiß, die Schwielen in den Händen und das Herzblut zu sein, sondern nur ein Nebenprodukt davon. „Ich baue Trails und Features, die andere dazu anstacheln sollen, die eigenen Grenzen zu verschieben. Wenn mehr Leute ihre Jump Skills über ein mittleres Level hinaus pushen, wird sich der Sport noch spannender entwickeln“, begründet Phil seinen Antrieb.
Die Trail-Bauwerkzeuge des Kiwis sind ganz ähnlich denen der Schwarzwälder. Phils Arsenal besteht vor allem aus Flachschaufel, Rechen und Spitzhacke. Der perfekte Trail ist für ihn eine Mischung aus anspruchsvollem Tech, Gefälle, satten Sprüngen und Anliegerkurven. Lines können an viele Geländeformen angepasst werden. Was beim Bau aber oft übersehen wird, so Phil, sind Details wie Fahrgeschwindigkeit, Bremspunkte, Wasserabfluss, Sichtfeld … all das zählt. Sein Tipp für all diejenigen, die es selber probieren wollen: Gebt euch ein paar Versuche und erwartet nicht, dass beim ersten Mal gleich alles perfekt klappt! Zu steil, zu flach, zu schnell, zu langsam. „Probiert es, bis es passt.“
Okay, verstanden. Und wenn der perfekte Trail fertig ist, dann ab damit ins Internet? Moment … denn es gilt, das geschaffene Werk auch langfristig zu bewahren. Wichtige Regeln für die Nutzung: nicht in Kurven shralpen und keine Absprungkanten durch Überrollen beschädigen, sondern zumindest ein bisschen abziehen! Seine eigenen Dirt Jumps schließt Phil lieber ab, eben zum Schutz vor Beschädigung und unerwünschten Umbaumaßnahmen. Als Wertschätzung reichen ihm dort gute Sessions mit der eigenen Crew. Matt wirft noch ein, dass man vor allem neue Trails nie bei Nässe befahren sollte, um sie nicht zu beschädigen. Und versteckte Lines sollten das verdammt nochmal auch bleiben, anstatt direkt im Internet preisgegeben zu werden. Wenn es hingegen um Trails für Bikeparks oder im öffentlichen Raum geht, sind sich Phil und Matt in einer weiteren wichtigen Verhaltensregel absolut einig: „Have fun!“
Die Digging-Kultur stärken
Die Begeisterung für den eigenen, perfekten Secret-Trail wird wohl immer bestehen. Der abgeschiedene Ort, an dem man nichts als etwas Werkzeug und ein paar Gleichgesinnte mit Bikes braucht, um unvergessliche Momente zu erleben. Doch neben all dieser schönen Inner-Circle-Romantik haben die heimlichen Erschaffer der Trails mehr Aufmerksamkeit für den wichtigen Beitrag verdient, den sie da draußen für unseren Bike-Sport leisten. Wir dürfen uns ruhig mal fragen, wem wir eigentlich das dicke Grinsen nach so mancher namenlosen Traum-Line verdanken. Je mehr Anerkennung wir den Erschaffern guter Trails schenken, desto stärker wächst auch der Ansporn für weitere Digger, sich auszuprobieren und selbst mal eine … Wiedehopfhacke in die Hand zu nehmen. Und wenn ein Trail fetzt, dann darf auch der Name der Erschaffer draufstehen. Das sät Respekt. So kann sich die Szene weiterentwickeln und sogar neue Berufsbilder und Karrierechancen hervorbringen, wie etwa die Geschichte der Firma Velosolutions zeigt, die im Auftrag von Städten, Kommunen und Vereinen auf der ganzen Welt Trails und Pumptracks erschafft. Rechtliche Regelungen spielen natürlich eine wichtige Rolle. Doch am Ende gilt: Von nichts kommt nichts. Oder, anders gesagt: No Dig, No Ride!
Ob am Feierabend versteckt im Schwarzwald oder für Brett Rheeder höchstpersönlich im Live-Stream bei der Rampage: Trail-Bauer shapen den Bike-Sport. Mehr als ein großes Publikum wünschen sich die Digger Respekt und Wertschätzung für ihre Arbeit. Und, dass möglichst viele andere Biker Lust bekommen, ebenfalls mal die Schaufel in die Hand zu nehmen. Wir unterschreiben beides. No Dig, No Ride!
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Text: Moritz Geisreiter Fotos: Peter Walker, Christoph Bayer, Cole Nelson