Ein Selbstversuch den Spagat zwischen beiden Disziplinen in einer Saison zu bewältigen.

introduction_nathalie-schneitter-finale-5

Wie ist es eigentlich den Cross Country Weltcup und die Enduro World Series in der selben Saison zu fahren? Ja, das hab ich mich auch gefragt. Als einzige Athleten überhaupt haben mein deutscher Teamkollege „Moustacheman“ Simon Gegenheimer und ich den Spagat gewagt. Dieser Erfahrungsbericht handelt von zwei Disziplinen unterschiedlich wie Tag und Nacht, die aber trotzdem vieles verbindet: Die Liebe zum Radfahren, die Lust zum Trails fetzen und der Nervenkitzel vor technisch kniffligen Aufgaben. Was wir aber dieses Jahr gelernt haben, mag trotzdem überraschen!

start

Wer selber noch nie am Start eines Cross Country Rennens stand, sollte wissen, dass da kriegsähnliche Zustände herrschen. Wer mental nicht darauf eingestellt ist ein paar Ellenbogen in die Rippen zu kriegen und in den ersten fünf Rennminuten bis zum Letzten um jede Position zu kämpfen, hat schon am Start verloren.

Danach geht es mehr oder weniger darum sich 90 Minuten lang permanent bis zum Äussersten zu pushen. Dabei gilt es aber einen so klaren Kopf zu behalten, dass man auch die Abfahrten noch perfekt meistert, im Gegnerkontakt im richtigen Moment beschleunigen kann und auch den Sprint in den Singletrail für sich entscheiden kann. Ein Balanceakt zwischen Fitness, Technik und Cleverness. Nur wer alle drei Komponenten perfekt beherrscht, kann im Ziel mit einem Top Resultat glänzen.

Schneitter

Das Enduro Rennformat wird die meisten Nicht-Rennfahrer schon etwas mehr ansprechen. Die gesamte Strecke muss zwar aus eigener Muskelkraft zurück gelegt werden, aber die Zeitmessung läuft nur in den Abfahrten, in sogenannten Stages. Tönt nach einem Sonntagsausfährtchen? Na so einfach ist es dann doch nicht. Jeder Transfer zur nächsten Stage muss in einer vorgegebenen Zeit bewältigt werden und wer nicht rechtzeitig am Start steht, dem wird eine saftige Zeitstrafe aufgebrummt. Mit Enduro Bike, Rückenpanzer, Knieschoner und Fullface-Helm bewaffnet, fühlt man sich in den Transfers oft wie ein Lastesel in einer Sauna. Dass die Transferzeiten bei der World Series besonders eng berechnet sind, erklärt sich von selbst. Immerhin stehen hier die besten Enduro Fahrer der Welt am Start und auch die wollen gefordert sein. Tausend Höhenmeter am Stück zum Frühstück bevor das Rennen mit der ersten Stage überhaupt richtig los geht – der Gedanken daran treibt so manchen den Schweiss bereits an der Startlinie auf die Stirn.

Schneitter

Die Cross Country Piloten gelten oft als die Streber des Mountainbike Sports. Training mit Herzfrequenz und Wattmessgerät, stolze Lycra-Träger, Wasser anstatt Bier, gesunde Ernährung, keinen Spass verstehen? Ja, da spricht der Stereotyp. Aber mal langsam: Natürlich sind wir die Fitnessenthusiasten unter den Mountainbikern. Aber egal ob Downhill, Enduro, Marathon oder Cross Country; schlussendlich geht es darum alles aus sich heraus zu holen, die bestmögliche Leistung abzuliefern und Grenzen auszuloten. Das Einzige das sich verändert sind Renndauer und Anforderungen an Fitness, Kraft und Technik. Manchmal vergessen wir, dass vor gut 20 Jahren Downhill und Cross Country noch mit dem selben Bike gefahren wurden, dass es damals weder Federgabeln noch Scheibenbremsen gab und ein Mountainbiker einfach ein Mountainbiker war.

endurostyle_nathalie-schneitter-finale-9

Enduro ist eine junge Disziplin, die zwar nicht mehr in den Kinderschuhen steckt, aber definitiv noch wächst und sich entwickelt. Fahrertypen verschiedenster Herkunft und Stärken finden hier zusammen. Ein Sammelsurium an verschiedensten Bedürfnissen und Meinungen.

 

endurostyle2_nathalie-schneitter-finale-2

Vorurteile und der Versuch sich abzugrenzen zwischen den Disziplinen gibt es viele. Heute sind wir hochspezialisiert, unterscheiden uns nicht nur in den Bikes die wir fahren, sondern auch wie wir uns anziehen und was wir als cool empfinden. Früher waren Mountainbiker Rebellen, heute manchmal die Spiesser die sich gegenseitig aufgrund von Etikette ausgrenzen. Das Gegen-Vorurteil zu den nerdigen XC Fahrer ist die Dauerparty an den Gravity Events. „Wo ist denn hier die Party?“ habe ich mich aber mehr als nur einmal gefragt bei den Enduro Rennen dieses Jahr. Auch im abfahrtsorientierten Geländeradsport weiss man heute, dass genügend Schlaf, brav Gemüse essen und ein bisschen Stretching über Sieg und Niederlage entscheiden kann. Nix Dauerparty, da wird seriös gearbeitet!

stoked_nathalie-schneitter-finale-14

Wir haben gelernt, dass sich die beiden Disziplinen ähnlicher sind als viele wahrhaben möchten und die Besten des Sports haben dies längstens erkannt. Enduro Fahrer auf dem Rennrad und Cross Country Fahrer auf dem Downhiller ist im Trainingsalltag längst zur Realität geworden und in der Kraftkammer trifft man im Winter sowieso jeden Rennfahrer an. Die verschiedenen Welten sind gar nicht so verschieden und verschmelzen wieder mehr. Jede Disziplin des Mountainbikesports ist heute hochprofessionell und die Athleten sind einfach Menschen die Bock haben auf geilen Sport. Lasst uns doch die Vorurteile aus dem Weg räumen – Es ist Zeit zurück zukommen zu der Denkweise, dass ein Mountainbiker einfach ein Mountainbiker ist und sich jenach Disziplin halt der fahrbare Untersatz unterscheidet. Und wer sich über Cross-Country-Fahrer in Lycra lustig macht, dem sei gesagt: Auch wir sind mittlerweile cool, denn auch im Cross Country rock ich meine Baggies! :)

Schneitter

Über die Autorin

Schneitter

Die Schweizerin Nathalie Schneitter startete ihre internationale Karriere 2004 mit dem Gewinn der Juniorinnen Weltmeisterschaft und seither ist die Vollgas unterwegs. In Jahr 2008 qualifizierte sie sich für die Olympischen Spiele in Peking und 2010 gewann sie den Cross Country Elite Weltcup in Champéry. Nathalie ist eine der vielseitigsten Cross Country Fahrerinnen überhaupt, sie gewann von Eliminator Weltcups bis zu internationalen Etappenrennen fast alles. Seit einigen Jahren fährt sie auch Enduro Rennen wenn es die Zeit zulässt und erreichte mehrere Top-10-Platzierungen in der Enduro World Series. Nathalie lacht viel, ist bisschen verrückt und tanzt in jeder möglichen Situation. Seit 2015 startet sie für das Team Rose Vaujany fueled by UltraSport.


Hat dir dieser Artikel gefallen? Dann würde es uns sehr freuen, wenn auch du uns als Supporter mit einem monatlichen Beitrag unterstützt. Als ENDURO-Supporter sicherst du dem hochwertigen Bike-Journalismus eine nachhaltige Zukunft und sorgst dafür, das die Mountainbike-Welt auch weiter ein kostenloses und unabhängiges Leitmedium hat. Jetzt Supporter werden!

Text: Nathalie Schneitter Fotos: Rose