Das neue RockShox Flight Attendant-Fahrwerk verspricht, ein Enduro-Bike so effizient wie ein Cross-Country-Bike zu machen. Wie viel Uphill-Performance gewinnt ein Enduro mit Flight Attendant? Haben Bikes mit wenig Federweg dann überhaupt noch eine Daseinsberechtigung? Wir haben das YT CAPRA UNCAGED 6 gegen das YT IZZO UNCAGED 7 antreten lassen.

Was für eine Schnapsidee – bis vor Kurzem hätte niemand ein CAPRA mit einem IZZO verglichen. Die beiden Bikes sind einfach zu verschieden und für unterschiedliche Einsatzgebiete gedacht. Aber durch das neue elektronische RockShox Flight Attendant-Fahrwerk ist dieser Vergleich nicht nur berechtigt, sondern mega spannend! Denn die automatische Druckstufeneinstellung vergrößert den Einsatzbereich von Enduro-Bikes derart, dass man denken könnte, Short-Travel-Bikes seien überflüssig. Ist dem so?

Auf dem Papier ist es ein ungleiches Duell: Das YT CAPRA UNCAGED 6 bietet mehr Federweg, massive Reifen und die neueste Fahrwerk-Technik. Das YT IZZO UNCAGED 7 bringt 120 mm Federweg, leichtere Reifen und einen traditionellen Lockout mit. Doch wie geht dieses Duell aus? Kann das Enduro-Bike im Uphill ansatzweise mithalten? Macht das CAPRA mit Flight Attendant das Revier von IZZO streitig? Und für wen ist welches Bike das richtige?

Mit Flugbegleitung – YT CAPRA UNCAGED 6

Das YT CAPRA UNCAGED 6 kommt groß, stark und mit der neuesten Technik ausgestattet daher. Der Zeiger der Waage bleibt bei 14,9 kg stehen, der Kontoausdruck bei 8.999 €. Dafür schmückt sich das Enduro-Bike mit 170 mm Federweg vorne und 165 mm hinten. Es rollt auf 29”-Carbon-Laufrädern mit MAXXIS-Reifen: vorne ein ASSEGAI in MaxxGrip-Gummimischung und hinten DHR II in MaxxTerra-Gummimischung, beide in der EXO+ Karkasse. Soweit ist alles bekannt. Was dieses Enduro allerdings von der Masse abhebt, ist die Ausstattung mit dem elektronischen Fahrwerk RockShox Flight Attendant. Algorithmen erkennen dabei mithilfe von Sensoren an Gabel, Dämpfer und Kurbel die Fahrsituation und wirken dementsprechend auf die Druckstufendämpfung des Fahrwerks ein: Dämpfer und Gabel werden unabhängig voneinander in drei Stufen – Open, Pedal und Lock – gesteuert und blitzschnell der jeweiligen Situation angepasst. Im Lock- und Pedal-Modus steht man zudem höher im Federweg, was für eine zentrale Sitzposition sorgt. Dadurch tritt man auf Anstiegen sehr effizient und sobald es an die Abfahrt geht, braucht ihr nicht mehr daran denken, den Dämpfer vor der Abfahrt aufzumachen! Wer genauere Infos zu dem intelligenten System haben möchte, kann unseren ausführlichen Artikel zum Flight Attendant mit allen Details auschecken.

Squishy
Das CAPRA bietet 165 mm Federweg am Heck und 170 mm an der Front.
Dicke Schlappen
Die MAXXIS-Reifen mit EXO+ Karkasse sind für ein Enduro-Bike noch nicht robust genug. Im Vergleich zu den Reifen des Down-Country-Bikes sind sie jedoch massiv.
Breit, aber clean
… ist der 800 mm breite Lenker des CAPRA dank kabelloser AXS-Schaltung und Dropper. Am linken Trigger kann man zusätzlich zur Sattelstütze die Steuerung des Flight Attendant-Fahrwerk kontrollieren.
Kommandozentrale
An der rechten Seite der Gabel befindet sich das Control-Modul des Flight Attendant-Fahrwerks.
Akkumuliert
Wenig Kabel bedeutet viele Akkus. Ganze 4 Stück sind am CAPRA verteilt.

Ohne Flugbegleitung – YT IZZO UNCAGED 7

Das YT IZZO UNCAGED 7 haben wir bereits in unserem Down-Country-Bike-Vergleichstest gegen fünf andere Räder dieser Kategorie antreten lassen. Der UNCAGED-Zusatz bedeutet hier, dass es sich im Vergleich zum IZZO in der Standard-Version um ein kurzhubigeres Down-Country-Bike handelt. Abgesehen von der „Laser Gelb“-Farbe wirkt es unauffällig, im Vergleich zu seinem Kontrahenten etwas zierlich und ist mit herkömmlicher Technik ausgestattet. Das UNCAGED 7 kostet 6.999 €, wiegt 11,8 kg und rollt ebenfalls auf 29”-Carbon-Laufrädern. Die Reifen stammen – wie beim CAPRA – von MAXXIS, jedoch finden sich hier die leichten XC-Reifen Rekon Race mit EXO-Karkasse und DualCompound-Gummimischung vorne und hinten. Auch bei diesem Bike lässt sich das Fahrwerk verhärten, jedoch mit einem herkömmlichen mechanischen Lockout: Mit einem Drehgriff kann man Gabel und Dämpfer simultan zwischen Open- und Lock-Modus verstellen. Das Fahrwerk ist allerdings so straff, dass man den Lockout wirklich nur für Sprints benötigt.

Kurzhubig
120 mm Federweg hat das IZZO an Front und Heck.
Lighweight, Baby
Die MAXXIS Rekon Race-Reifen mit dünner EXO-Karkasse sind auf DT Swiss XRC 1200 Carbon-Laufrädern verbaut. Eine echte Leichtgewicht-Kombination.
Twist it
Der TwistLoc-Lockout ist sehr gut bedienbar. Durch das straffe Fahrwerk braucht man ihn beim IZZO jedoch kaum.
Schmalschultrig
Mit 740 mm Breite ist der Lenker des IZZO sehr schmal. Auch im Down-Country-Bike-Vergleichstest waren alle anderen Lenker breiter.

Das haben wir aus dem Vergleich gelernt: Die technischen Details der Bikes

Die unterschiedliche Geometrie vermittelt direkt verschiedene Fahrgefühle

Bereits die Fahrerposition auf den beiden Bikes unterscheiden sich deutlich: Auf dem CAPRA sitzt man sehr aufrecht und bequem – auch lange Tage verbringt man auf seinem Sattel sehr komfortabel. Geht es bergab, tragen zudem der relativ lange Reach von 487 mm, der vergleichbar flache Lenkwinkel von 64,2° und der 800 mm breite Lenker dazu bei, dass das Enduro zwar deutlich laufruhiger als sein Konkurrent ist, aber auch träger. Und das, obwohl das CAPRA in unserem Enduro-Bike-Vergleichstest eines der verspieltesten Bikes war. Auf dem IZZO sitzt man deutlich sportlicher, was allerdings auch bedeutet, dass etwas mehr Druck auf den Händen lastet. Es hat einen 740 mm breiten Lenker verbaut und ist mit einem Reach von 475 mm und einem Lenkwinkel von 66,5° zudem kürzer und steiler. Das trägt zum flinken, agilen Handling bei, allerdings wird das Bike in High-Speed-Sektionen oder auf rauen Trails deutlich schneller nervös.

Das Fahrwerk unterscheidet sich durch mehr als nur den Federweg

Das Fahrwerk eines Mountainbikes ist immer ein Kompromiss. Oder positiver formuliert: eine Balance. In der Regel sind Enduro-Bikes mehr auf Abfahrts- als auf Kletter-Performance optimiert. Bei Down-Country-Bikes liegt der Fokus hingegen auf beiden Aspekten gleichermaßen. Durch RockShox Flight Attendant wird dieses Game jedoch geändert. Beim CAPRA wird das Fahrwerk in der Ebene und bei Forstweg-Climbs auf Lock gestellt, wippt somit nicht und ist sehr effizient. Bei technischen, steilen Uphills stellt das Fahrwerk automatisch auf den Pedal-Modus, wodurch es straffer wird und höher im Federweg steht, dabei aber noch aktiv genug bleibt, um gute Traktion zu generieren. Wenn der Trail in Richtung Tal zeigt, schaltet das Fahrwerk in den Open-Modus und das CAPRA kommt so richtig in die Gänge. Auf natürlichen Singletrails vermittelt es eine höhere Laufruhe und bei hohen Geschwindigkeiten oder Wurzel- und Steinfeldern kommt diese Stärke besonders zur Geltung. Auf Flowtrails hingegen wird ihm das zum Verhängnis, da das Fahrwerk offen bleibt, sobald nicht getreten wird. So geht beim Pushen in das Bike in Wellen oder Anliegern viel Energie verloren und es fehlt ihm an Agilität.

Das Fahrwerk des IZZO ist so straff, dass der verbaute Lockout kaum nötig ist. So ist das Bike auch im offenen Modus sehr effizient bergauf. Und gerade Uphill-Trails mit Spitzkehren machen mit dem Down-Country-Flitzer richtig Bock. Wird es im Uphill technisch, steigt jedoch das Vorderrad leicht und man muss die Front aktiv belasten, um ein Steigen zu vermeiden. Im Downhill fährt es sich sehr gegensätzlich zum CAPRA: Das progressive Fahrwerk des IZZO lädt zum Spielen mit dem Trail ein und es lässt sich sehr gut Speed durch Pushen in Anliegern oder Wellen generieren. Auch kleine Jumps sind mit dem IZZO spaßiger, da es mehr Pop bietet und und auch in der Luft agiler ist. Es bietet jedoch weniger Reserven und ist somit nicht so fehlerverzeihend wie das Enduro. Der progressive Hinterbau vermittelt zudem deutlich weniger Laufruhe.

Gewicht ist nicht das Wichtigste für (Uphill-)Performance

Die beiden Kontrahenten haben einen Gewichtsunterschied von etwas mehr als 3 kg. Viel entscheidender als die absolute Differenz ist jedoch, an welchen Stellen das Gewicht sitzt. Beide Bikes sind mit Laufrädern aus Carbon ausgestattet, der Satz des CAPRA ist jedoch um 300 g schwerer. Durch die gröberen, robusteren Reifen kommen insgesamt nochmal 600 g dazu. Das knappe Kilo an zusätzlicher rotierender Masse muss beim Antritt natürlich erst mal in Bewegung gebracht werden. Das IZZO bietet somit ein deutlich spritzigeres Gefühl. Man wird regelrecht dazu angestachelt, zu sprinten, bis die Lunge platzt. Vor allem auf Schotterstraßen macht sich diese Effizienz bemerkbar. Die Reifen des CAPRA haben hier einen spürbar höheren Rollwiderstand. Mit gröberem Profil, weicherer Gummimischung und robusterer Karkasse zahlen sie sich aber bei technischen Climbs aus: Durch das Plus an Traktion wird es leichter, steile und anspruchsvolle Uphill-Passagen hochzuklettern. Und auch bei der Abfahrt vermittelt das Bike dadurch deutlich mehr Kontrolle und Sicherheit. Dagegen lässt sich das Down-Country-Bike trotz der gleich großen Laufräder mit weniger Mühe hin und her schmeißen und Kurvenwechsel gehen leichter von der Hand.

Beide Bikes sind No-Brainer

Ein großer Vorteil des Flight Attendant Enduro-Bikes ist, dass man nicht vergessen kann, den Lockout zu öffnen. Gerade nach langen Uphills ist es sicher jedem von uns schon mal passiert, die ersten Meter auf dem Trail mit verhärtetem Fahrwerk zu starten. Durch die automatische Umschaltung ist dies mit dem CAPRA unmöglich. Das IZZO hat hier sein eigenes Rezept: Es ist straff genug, sodass man den Lockout nicht braucht und das „Vergessen“ somit auch hier kein Problem darstellt. Unser Down-Country-Bike-Vergleichstest hat jedoch gezeigt, dass das bei Weitem nicht bei allen Rädern dieser Kategorie der Fall ist.

Wer spielt wo die Stärken aus? Die Charaktere der Bikes

Die Charaktere der Bikes lassen sich ziemlich gut mit dem Duell Viper vs. Berg aus Game of Thrones vergleichen: Das CAPRA verhält sich im Handling wie der Berg: groß, mächtig und nicht aus der Fassung zu bringen. Es ist träge, aber dafür sicher und laufruhig, mit massig Kontrolle und Traktion. Das IZZO ist hingegen wie die Viper: klein, wendig, flink und agil. Man kann spielerisch auf dem Trail unterwegs sein, an Kanten abziehen und kreative Lines ausprobieren. Es ist allerdings auch anspruchsvoller zu fahren und besonders in offenen Kurven und steileren Parts wird viel Konzentration benötigt.

Der Spaß ist auf beiden Bikes gesetzt: Auf harten Trails, dicken Jumps oder im Bikepark hat das CAPRA wie erwartet die Nase vorne. Das IZZO bringt hier einfach nicht genug Reserven mit. Auf den allermeisten Hometrails kann das Down-Country-Bike jedoch die spaßigere Alternative darstellen. Wenn ihr nicht gerade in Champéry oder Squamish lebt, sind die Trails meist nicht derart extrem und gerade für eingefleischte Enduristen ist das kleinere Bike eine spannende neue Herausforderung.
Beide Räder sind mit edlen Parts ausgestattet, das CAPRA schlägt jedoch mit 2.000 € mehr zu Buche. Damit erkauft man sich einen deutlich größeren Einsatzbereich, denn durch das Flight Attendant-Fahrwerk ist das Bike für fast alle Situationen gerüstet.

Fazit

Aus diesem Duell geht kein klarer Sieger hervor. Eine Erkenntnis, die man daraus ziehen kann, ist aber, dass Down-Country-Bikes durch Enduro-Bikes mit RockShox Flight Attendant nicht ihre Daseinsberechtigung verlieren. Beide Kontrahenten haben jeweils ihren bevorzugten Einsatzbereich: Das CAPRA richtet sich an alle, die ein Bike mit mehr Sicherheit, größeren Reserven und einem großen Einsatzgebiet suchen. Wer hingegen ein Bike für schnelle Runden auf seinen Hometrails sucht und wie ein Trail-Ninja durch den Wald fegen möchte, wird auf dem IZZO mehr Spaß haben.


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Text: Simon Kohler Fotos: Peter Walker, Benjamin Topf

Über den Autor

Simon Kohler

Simon liebt Geschwindigkeit. Als Downhill Skater ist er lange Zeit Rennen gefahren und mit seinem Longboard Alpenpässe runtergeknallt. Inzwischen hat er vier gegen zwei Reifen eingetauscht und heizt jetzt mit seinem Mountainbike auf Trails und Bikepark Lines. Bei verschiedensten Roadtrips durch die Alpen hat er seither einige der feinsten Trails Europas ausgekostet. Da er einige Zeit in Österreich gelebt hat, kennt er zudem die lokalen Bikeparks wie seine Westentasche. Durch sein Ingenieurstudium und seine Liebe zum Detail ist er ein echter Technik-Nerd und testet jetzt als Redakteur die aktuellsten Bikes und Parts auf Herz und Nieren. Als Frühaufsteher und selbsterklärter Müsli-Connaisseur lebt er sein Leben frei nach dem Motto „Powered by Oats. And also Legs.“