Hello America! | Teil #8 – Zu Besuch bei den Shapern von Chatel
In zwei verschiedenen Ländern, 6.600 km von ihrer Heimat entfernt – wir haben zwei Jungs gefunden, die sprichwörtlich ihr Leben getauscht haben: einer in Amerika, der andere in Deutschland. Wie fühlt sich Radfahren in der jeweils neuen Welt an? Wer findet die besten Trails? Wer das beste Bier? Nehmt teil an ihren Geschichten und folgt ihren Abenteuern auf den Trails der neuen Welten.
Zugegeben, richtig helfen können wir den Trailbauern in den unzähligen Bikeparks natürlich nicht. Aber vom Gas zu gehen, wenn wir die Jungs irgendwo an der Strecke sehen, ist das Mindeste, was wir ihnen an Unterstützung zukommen lassen können.
Bevor ich aber meine Anklage erhebe, bekenne ich mich selbst schuldig. Ja, auch ich habe mich im Bikepark oft wie ein Idiot verhalten. Mit Vollspeed an einer Gruppe von Shapern vorbeizurauschen, die gerade ihrer Arbeit nachgeht, ist dumm und gefährlich. Seit meinem Besuch bei den Trailbauern in Châtel weiß ich, wie nervig es sein kann, wenn ein Haufen Verrückter durch eine Baustelle rauscht – vom Gefahrenpotenzial einmal ganz abgesehen.
Mittlerweile fahre ich seit über 20 Jahren Mountainbike und in dieser Zeit habe ich schon unzählige Strecken in aller Herren Länder unter die Stollen genommen. Dabei habe ich mir nie ernsthaft Gedanken über die Jungs gemacht, die sich tagtäglich für all die perfekten Lines buchstäblich den Hintern aufreißen. Egal ob klassischer Wurzeltrail oder fein geshapter Dirtparcours, die Strecken in den Bikeparks haben sich im Lauf der Jahre unterschiedlich weiterentwickelt, aber alle sind das Ergebnis wochenlanger und schwerer Arbeit mit Spitzhacke, Rechen und Schaufel. Doch welche Menschen stecken hinter dem ganzen Aufwand? Warum nehmen sie die ganze Plackerei auf sich? Was ist ihr Antrieb? Bislang hatte ich mir darüber noch nie wirklich Gedanken gemacht. Doch als sich die Möglichkeit ergab, ein gut eingespieltes Team erfahrener Shaper kennenzulernen, nahm ich die Gelegenheit zum Anlass, um ihnen genau diese Fragen zu stellen.
Es war irgendwann im Sommer letzten Jahres, als ich einen der Trailbauer vom Bikepark Châtel kennenlernte. Mein Freund Alec und ich hatten unsere letzte Abfahrt bereits hinter uns und waren wir mit ein paar Bierchen zu Fuß unterwegs, um ein paar markante Streckenabschnitte genauer zu inspizieren, als wir auf Fred trafen, der sich gerade an einer Landung zu schaffen machte. Ich weiß ja nicht, wie ein Franzose genau auszusehen hat, aber Fred sah mit seinem hellen Teint und den blonden Haaren jedenfalls nicht wie ein typischer Franzose aus. Was uns jedoch am meisten überraschte, war sein perfektes und komplett akzentfreies Englisch, in dem er uns erklärte, dass er gebürtiger Portugiese sei.
Obwohl er verschwitzt und mit einer dicken Staubschicht bedeckt war, machte dieser Typ einen extrem zentrierten Eindruck und schnell war uns klar, dass die anstrengende Arbeit des Streckenbauers genau sein Ding war. Der Mann stand auf Bikes und Berge.
Der Job
Nicolas Gautherot (Nico) is the guy in charge of Bikepark Châtel these days. He and I sat near the top of the mountain watching riders session “The Face” during the Châtel Bike Festival. I asked him why he does this job. He spread his arms wide at the expansive mountain view in front of us and said with a content smile, “This wallpaper is my office.”
Nico ist der Chef der achtköpfigen Trailbau-Crew und unter anderem für die Arbeitseinteilung verantwortlich. Diese sieht vor, dass das komplette Areal alle sieben Tage einmal bearbeitet wird. In seiner Rolle ist er außerdem verantwortlich für allerhand Papierkram und die pünktliche Auszahlung der Gehälter, aber die Arbeit draußen auf der Strecke zählt eindeutig zu seinen Lieblingsbeschäftigungen. Nico ist in einem kleinen Ort in der Nähe von Strasbourg an der Grenze zu Deutschland aufgewachsen und kam das erste Mal im Jahr 2000 als Pistenaufseher nach Châtel. Nach einem Universitätsstudium und einer achtmonatigen Wehrdienstzeit spricht er nun außer Französisch auch Deutsch und Englisch. Bei einem seiner ersten Aufenthalte in Châtel kam ihm und ein paar seiner Kumpels die Idee, einen Bikepark zu bauen. Die harte Arbeit machte ihnen nichts aus, die Leidenschaft und die Liebe zu den Bergen war ihre Motivation. Eigenschaften, die ein Trailshaper auch heutzutage unbedingt mitbringen sollte, wie Nico ausdrücklich betont. Davon lebt der Erfolg eines Bikeparks.
Die Crew
Nachdem ich den Rest der Mannschaft kennengelernt hatte, interessierten mich vor allem zwei Fragen: Was nervt euch und was begeistert euch am meisten an eurem Job? Um es gleich vorwegzunehmen, fielen die Antworten aller Befragten nahezu identisch aus. Besonders bei der Antwort auf die erste Frage waren sich die Herren einig: Sie hassen es, wenn Streckensperrungen nicht eingehalten werden und wenn die uneinsichtigeren Biker ohne zu bremsen durch einen Abschnitt rauschen, an dem gerade gebaut wird. Breiter gefächert war die Antwort auf Frage Nr. 2, aber unterm Strich kann man festhalten, dass Verständnis für eventuelle Einschränkungen durch die Bauarbeiten ebenso willkommen ist wie ein freundlicher Umgang miteinander oder gar ein kurzes Gespräch, in dem durchaus auch Verbesserungsvorschläge oder konstruktive Kritik geäußert werden dürfen.
Der Bikepark in Châtel ist zum Glück riesig und hält damit genügend Alternativen bereit, um eine Strecke für Bauarbeiten komplett sperren zu können. Das ist auch an manchen engen und schlecht einsehbaren Strecken unbedingt notwendig, um Unfälle zu vermeiden. In übersichtlichem Terrain wird jedoch der betroffene Streckenabschnitt auch gerne einmal offen gelassen und die Arbeiter gehen dann bei Bedarf etwas aus der Bahn. So, wo ist das Problem? Aufgrund der einstimmigen Antworten auf meine erste Frage beschloss ich, kurzerhand mit der Crew auf die Strecke zu gehen, um mir selbst ein Bild von der Lage zu machen.
Auf dem Trail
An einem wunderschönen und wolkenlosen Tag machten wir uns auf den Weg zum Panaroma-Trail. Der war nach zahlreichen regenlosen Wochen von der Sonne komplett ausgetrocknet und hart wie Beton. Es war heiß und staubig und in jeder Kurve lagen feiner Kies und loses Geröll. Keine einfachen Bedingungen für die wenigen Biker, die auf der Strecke waren. Wir mussten ein paar Schritte gehen, bis wir einen komplett durchgerockten Anlieger erreichten, an dem sich die Jungs sofort zu schaffen machten und das Werkzeug fliegen ließen. Wenn Biker des Weges kamen, konnten wir sie schon von Weitem hören und rechtzeitig von der Strecke gehen, um sie vorbeizulassen. Nachdem sie ihre Geschwindigkeit verringert hatten, grüßten sie freundlich und wir konnten uns zügig wieder unserer Arbeit widmen. Dasselbe Spiel machten wir einige Male, wobei der Ablauf stets sehr zivilisiert vonstattenging und so arbeiteten wir uns Stück für Stück nach unten vor.
Irgendwann aber erreichte uns ein Fahrerpulk, dem es so gar nicht in den Sinn kam, zu bremsen. Stattdessen nahmen sie unsere Anwesenheit auf der Strecke zum Anlass für eine spontane Slalomeinlage. Mehr oder weniger kontrolliert schlitternd und driftend umkurvten sie uns und unser herumliegendes Werkzeug, dass der Kies nur so spritzte. Als sich der Staub schließlich etwas gelegt hatte und ich den Rest der Crew mit ihren Shirts über Mund und Nase gezogen wieder schemenhaft erkennen konnte, sah mich Remy, einer der Shaper, nur an und meinte: „Weißt du jetzt, was ich meine?“
Tatsächlich war ich selbst überrascht, wie störend es war, wenn diese Rowdys mit Highspeed an uns vorbeipreschten und ich fragte mich jedes Mal aufs Neue, was mich mehr aufregte: die Respektlosigkeit oder die Gefahr, die von derart hirnrissigem Verhalten ausgeht. Nicht nur, dass sie die Sicherheit der Leute, die an der Strecke arbeiten, gefährden. Sie setzen auch ihre eigene Gesundheit aufs Spiel. Ich will mir nicht ausmalen, welche Auswirkungen ein Sturz in einen Rechen bei derart hoher Geschwindigkeit hat.
Gute Vibes
Aber so nervig diese Chaoten auch waren, gab es auch viele gute Erlebnisse und Begegnungen. Und so entwickelten sich nicht selten interessante und lustige Gespräche am Rand der Strecke mit Leuten, die herkommen, einen Tag lang ihren Spaß haben und die harte Arbeit, die hinter dem Ganzen steckt, auch zu schätzen wissen. Die Crew kennt natürlich ihre Aufgaben und weiß genau, was zu tun ist. Aber auch für diese Jungs ist es wichtig, Feedback zu erhalten. Auch gegen Kritik, sofern sachlich und konstruktiv vorgetragen, ist nichts einzuwenden. Schließlich sind wir alle stets auf der Suche nach dem perfekten Trail. Fred spricht vier Sprachen, Nico drei und ich bin leider nur einer mächtig. Wahrscheinlich sollte ich endlich auch langsam anfangen, wenigstens Deutsch zu lernen. Aber bis dato ist in dieser Richtung noch nicht zu viel passiert. Remy, einer der Shaper, spricht Französisch und Englisch. Er kommt aus der Gegend um Châtel und hat sich sein Englisch mehr oder weniger mit seiner Arbeit selbst beigebracht. Wie Nico ist er im Winter Pistenaufseher und fungiert im Sommer als Mädchen für alles. Wo auch immer ich an diesem Tag aufkreuzte, Remy war schon da. Anfangs war das beim Trailbau, kurz darauf sah ich ihn beim Burgergrillen an einem Verpflegungsstand und abends stand er als DJ in einer Musikkneipe am Mischpult. Um mit allen Mitgliedern der Trailcrew wirklich ins Gespräch zu kommen, fehlte mir einfach die Zeit – leider, denn die gesamte Mannschaft bestand aus sehr coolen Leuten, von denen sicher jeder seine eigene interessante Geschichte zu erzählen gehabt hätte. Ein Leben in den Bergen hat seinen ganz eigenen Rhythmus, dem man sich hingeben muss, was ein gewisses Maß an Flexibilität und Kreativität voraussetzt. Aber alle, die ich bei meinem Ausflug kennengelernt habe, haben sich diesem spannenden Leben perfekt angepasst.
Lohn der Arbeit
Aber warum verbringt man einen ganzen Sommer damit, als Trailbuilder zu arbeiten? Auch wenn sich über den Verdienst niemand beschwert hat, reich wird man dabei sicher nicht. Dafür erhält man für eine ganze Saison ein SCOTT Voltage 710, Ausrüstung und Klamotten. Dazu gibt es einen All-Areas-Pass für die gesamte Region um Portes du Soleil, die sich bekanntermaßen bis in die Schweiz erstreckt. Ich habe keine Ahnung, wie viele mit dem Lift erreichbare Trailkilometer es in der Region gibt, aber ich schwöre, ich werde es bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit herausfinden. Und wer immer noch befürchtet, ihm würde dort langweilig werden, der hat ja immer noch die sehr interessanten Regionen rund um Matterhorn, Genfer See und Mont Blanc in der Hinterhand. Vermutlich ist die Faszination dieser Landschaft einer der Hauptgründe, genau hier einen Sommer mit harter Arbeit zu verbringen.
Wenn ihr also das nächste Mal im Park einen Trupp Trailshaper bei der Arbeit seht, seid so nett, bremst ab und sagt Hallo und Danke für deren tolle Arbeit. Seid auch um berechtigte Kritik nicht verlegen, schließlich profitieren wir alle von Verbesserungen. Vor allem aber schätzt ihre Arbeit, denn das sind die Jungs, die euch im Schweiße ihres Angesichts ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Ich versichere euch, ihr werdet überrascht sein, wie bodenständig und zuvorkommend diese Kerle sind. Und wenn man sie erstmal etwas näher kennt, zeigen sie einem vielleicht auch das ein oder andere noch unbekannte Trailhighlight, wer weiß …
Weitere Informationen zu Chatel und dem Bikepark
chatelactivities.com
thetalkingsuitcase.com
1861chatelhostel.com
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Text & Fotos: Evan Phillips
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