Steel is Real – aber ist Titan noch realer? In diesem Artikel finden wir heraus, was es mit diesen beiden exotischen Werkstoffen an Mountainbikes auf sich hat und was dahintersteckt. Wo liegen die Unterschiede in Bezug auf Herstellung, Verarbeitung und Trail-Performance?

Die Mountainbike-Bubble kann einem manchmal wie eine umgekehrte Welt vorkommen. Zum Beispiel im Bezug auf verwendete Materialien: So ist Stahl im Alltag allgegenwärtig, unter anderem in Häusern, Autos, Zügen und vielem mehr, Carbon hingegen ist ein seltener High-Tech-Werkstoff. Für viele Mountainbiker ist Carbon jedoch Gang und Gebe, Stahlbikes auf der anderen Seite sind eher rare Custom-Bikes. Noch viel seltener sieht man allerdings Bikes aus Titan – dieses Material kennen die meisten hauptsächlich von teuren Uhren, Schmuck oder OP-Implantaten. Wir haben uns Stahl und Titan in diesem Zuge genauer angeschaut: Was sind die Unterschiede, was machen die beiden Materialien aus und wie war deren Verwendung an Mountainbike-Rahmen der Vergangenheit? Natürlich haben wir zudem noch zwei identische Enduro-Hardtails – eins aus Stahl und eins aus Titan – auf dem Trail gegeneinander getestet.

Wo liegen die Unterschiede der beiden Materialien? Und wie macht sich das auf dem Trail bemerkbar?

Stahl vs. Titan – Allgemeine Unterschiede

Stahl ist kein Element – also kein Reinstoff. Stattdessen besteht Stahl immer aus einer Zusammensetzung verschiedener Anteile. Der Hauptanteil ist dabei immer der Reinstoff Eisen, es werden aber noch andere Elemente, wie Nickel, Chrom oder Molybdän mit Anteilen von bis zu 20 %, zugemischt. Ebenso kleine Mengen von unter 1 % von Aluminium, Niob, Vanadium oder Titan. Diese Mischung wird dann Legierung genannt. Was in welchen Anteilen zugegeben wird, hängt dabei sehr stark vom Einsatzbereich ab, da sich die Materialeigenschaften dadurch stark verändern lassen. Wie steif, zäh oder korrosionsbeständig der Stahl ist, wird maßgeblich von der verwendeten Legierung beeinflusst und ist eine Wissenschaft für sich.

Titan auf der anderen Seite ist ein Reinstoff, das heißt, es kann mit chemischen Methoden nicht mehr in andere Stoffe zerlegt werden. Mit einer Dichte von 4,5 kg/l ist es gerade noch so ein Leichtmetall, da diese Stoffe leichter als 5 kg/l sein müssen. Damit ist Titan zwar deutlich schwerer als Alu, das lediglich 2,7 kg/l aufweist, aber weitaus leichter als Stahl, das je nach Legierung um die 7,8 kg/l mitbringt. Die Stabilität von Titan ist aber fast mit der von Stahl gleichzusetzen. Ähnlich wie es bei Alu der Fall ist, werden jedoch auch zu Titan weitere Stoffe beigemischt – auch hier kommt wieder Aluminium oder Vanadium zum Einsatz. Die Gewinnung und Verarbeitung von Titan ist jedoch um ein Vielfaches aufwendiger als von Eisen bzw. Stahl, weshalb der Preis dementsprechend deutlich höher ist.

Kleiner geschichtlicher Ausflug zu den MTB-Ursprüngen

Die ersten Mountainbikes waren eigentlich gar keine solchen. Stattdessen waren es in den 70ern einfach umgebaute Beachcruiser aus Stahl, sogenannte Klunker. Diese Bikes waren schwer und robust und eigneten sich damit am besten dafür, die Schotterstraßen in den Bergen Kaliforniens herunterzubrettern. Erst einige Jahre später wurden Kleinserien gebaut, die speziell als Mountainbikes gedacht waren – und zum ersten Mal auch so genannt wurden. Allerdings waren diese optisch und auch technisch noch stark an die Beachcruiser angelehnt.
Das erste Mountainbike war das Specialized Stumpjumper im Jahr 1981: Es besaß keine Federung, hatte generell nur wenig mit den Mountainbikes von heute zu tun und war – natürlich – aus Stahl gefertigt. Zu dieser Zeit war Alu noch ein High-Tech-Material, das hauptsächlich in der Raumfahrt verwendet wurde. Erst Ende der 80er kam von Cannondale das erste Alu-Bike in Großserie auf den Markt. Daraufhin hat sich Alu aufgrund seiner Vorteile als Rahmenmaterial zum Standard etabliert. Denn Aluminium hat einen relativ niedrigen Schmelzpunkt, ist einfach zu verarbeiten und auch kalt gut verformbar. Viele Jahre später, in den 2010er-Jahren, kamen dann die ersten Carbon-Bikes auf. Carbon wiederum ist ein Verbundwerkstoff aus Kohlefasern, die als Stränge oder in Matten gewebt und dann in einer Form zusammen mit Harz gebacken und dadurch verhärtet werden. Bikes aus diesem Material waren aber zunächst kaum leichter und zudem weniger stabil als die Alu-Varianten. Erst einige Jahre später war die Carbon-Technologie so weit, dass man aus dem Material leichte und vor allem stabile Rahmen herstellen konnte.

Heutzutage ist Carbon nicht mehr aus der Bike-Welt wegzudenken – von City-Bikes über Rennräder bis hin zu MTBs. Fast alle neuen Bikes im Performance-Bereich werden mittlerweile aus Carbon hergestellt, da es den Designern mehr Freiheit bei der Formgebung der Rahmen gibt. Zudem können die Entwickler die Flex-Eigenschaften der Rahmen durch Veränderung des Carbon-Layups anpassen.
Stahl ist heute als MTB-Rahmenmaterial hingegen fast ausgestorben. In einer kleinen Gruppe von Puristen und Individualisten ist das Material jedoch nach wie vor beliebt – sie preisen die Einfachheit des Werkstoffes, aber auch die Flex-Eigenschaften, die dem Bike ein komfortables, fehlerverzeihendes Fahrgefühl geben sollen.
Doch was ist mit Titan? Wegen des hohen Preises und der aufwendigen Verarbeitung war es noch nie weit verbreitet. Über alle Bike-Kategorien hinweg war es immer schon ein Material für Liebhaber, die das nötige Kleingeld haben.

Stanton Switch9er Titanium GET FAST, Preis 4.310 €, Gewicht 13,4 kg
Stanton Switch9er Steel GET FAST, Preis 3.010 €, Gewicht 14,2 kg

Unsere Testbikes: Die Stanton Switch9er GET FAST-Modelle

Stanton ist eine Traditionsmarke aus Derbyshire in den UK – dem Land, das unangefochten die Hochburg von Stahlbikes ist. Angefertigt werden Mountainbikes ausschließlich aus Titan und Stahl – vom Hardtail bis zum Fully. Seit einiger Zeit allerdings nicht mehr auf der Insel, sondern in Asien. Nachdem Stanton UK kürzlich insolvent gegangen ist, sprangen 1bike4life ein: Ein Münchner Unternehmen, das es sich auf die Fahne geschrieben hat, Räder zu verkaufen, die euch euer Leben lang begleiten sollen. Die Bikehersteller übernahmen die bereits produzierte Lagerware der Fabrik und haben im gleichen Zuge die Namensrechte in den europäischen Ländern sowie diversen Drittländern, wie der Schweiz, Japan oder den USA, eingetragen. Dort wird der Vertrieb jetzt von 1bike4life umgesetzt. Mit ihren drei Dropbarmarken Rennstahl, Parapera und Falkenjagd hat das bayerische Unternehmen bereits reichlich Erfahrung mit edlen Bikes und exotischen Rahmenmaterialien. Denn Falkenjagd stellt ausschließlich Titan-Rahmen her, während Rennstahl – wer hätte es gedacht – auf Stahl setzt. Mit Stanton ergänzt nun eine Marke für den MTB-Einsatz das Portfolio der Münchner.

Schicke Schweißnähte und dezente Details schmücken unsere beiden Stanton Switch9er.

Das Stahl-Switch9er ist seit vielen Jahren im Line-up von Stanton und seit langem unverändert – never change a running system. Zusätzlich gibt es aber nun auch die Titan-Version, die die absolut identische Geometrie aufweist. Die einzigen Unterschiede neben dem Preis sind, dass die Züge beim Switch9er Titanium durch den Rahmen gelegt werden und es dieses Bike nur in klassischem Raw gibt – damit der einzigartige Titan-Glanz auch schön zur Geltung kommt. Die beiden Hardtails eignen sich perfekt zum Testen der Material-Eigenschaften am Bike, da hier keine Hinterbau-Kinematiken, Dämpfer-Tunes oder Sonstiges Einfluss auf den Fahreindruck haben. Wir haben die GET FAST Modelle getestet, die abgesehen vom Rahmenmaterial absolut identisch sind.

Stanton Switch9er in Stahl und Titan – Wo sind die Unterschiede auf dem Trail?

Dadurch, dass beide Bikes die gleiche Geometrie haben, ist das erste Fahrgefühl zunächst einmal sehr ähnlich. Auf beiden Varianten sitzt man komfortabel und hat eine aufrechte Fahrposition, bei der nicht zu viel Gewicht auf den Händen lastet. Durch den rigiden Hinterbau wird jede Pedalumdrehung direkt in Vortrieb umgesetzt und die Bikes bekommen dadurch ein sehr spritziges Fahrgefühl.

Setzt man zum Sprint an, machen sich dann die ersten Unterschiede bemerkbar: Die Titan-Version fühlt sich hier etwas weicher an und man spürt einen leichten Flex im Rahmen, wenn man so richtig Dampf gibt.
Startet man bergab auf den Trail, werden diese Unterschiede noch offensichtlicher. Das Switch9er Ti ist spürbar komfortabler und weniger anstrengend zu fahren, da man in roughen Passagen weniger durchgeschüttelt wird. Insgesamt fühlt sich die Titan-Version etwas fehlerverzeihender an, da sich das flexiblere Heck in anspruchsvollen Passagen eher noch durchschlängelt und weniger von Steinen aus der Bahn geworfen wird. Zusammen mit dem knappen Kilo Gewichtsersparnis ist das Titan-Bike eine klare Empfehlung. Man muss eben mit dem Raw-Finish und den innenverlegten Zügen klarkommen – und bereit sein, den höheren Preis zu bezahlen.

Für wen ist das Titan- und für wen das Stahlbike?

Das Standard Switch9er-Enduro-Hardtail von Stanton ist für alle Nostalgiker, die ein Stahlbike haben wollen, das an die Ursprünge des Mountainbikens erinnert. Dafür bekommt man ein direktes Fahrverhalten, das wirklich jedes Watt in Vortrieb umsetzt. Dass man dabei 1.300 € am Preis spart, ist natürlich auch nicht zu vernachlässigen.

Das Switch9er Ti ist hingegen ein Bike für die Individualisten unter den Individualisten und alle, die Bock auf ein exotisches MTB haben, das bereits durch die Materialwahl auffällt. Zusätzlich wird man durch ein fehlerverzeihendes Fahrverhalten belohnt, das kaum Nachteile mit sich bringt und die Fahrt weniger anstrengend und komfortabler macht.

Fazit zu Stahl vs. Titan am Stanton Switch9er

„Steel is Real” ist eine Nostalgie-Bewegung von Mountainbikern, die durch ihre Rahmenwahl an die Ursprünge des Sports erinnert werden möchten. Titan ist deutlich exquisiter und hat einen komplett anderen Ursprung. Jetzt teilen sich die Materialien jedoch einen ähnlichen Markt von Puristen und Liebhabern. Auf dem Trail bietet das Titan-Bike mehr Komfort und ein fehlerverzeihenderes Verhalten. Durch die aufwendigere Herstellung und Verarbeitung sind Titan-Bikes jedoch auch in einem anderen Preissegment unterwegs.

Mehr Infos unter 1bike4life.com und stantonbikes.de.


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Text: Simon Kohler Fotos: Peter Walker

Über den Autor

Simon Kohler

Simon liebt Geschwindigkeit. Als Downhill Skater ist er lange Zeit Rennen gefahren und mit seinem Longboard Alpenpässe runtergeknallt. Inzwischen hat er vier gegen zwei Reifen eingetauscht und heizt jetzt mit seinem Mountainbike auf Trails und Bikepark Lines. Bei verschiedensten Roadtrips durch die Alpen hat er seither einige der feinsten Trails Europas ausgekostet. Da er einige Zeit in Österreich gelebt hat, kennt er zudem die lokalen Bikeparks wie seine Westentasche. Durch sein Ingenieurstudium und seine Liebe zum Detail ist er ein echter Technik-Nerd und testet jetzt als Redakteur die aktuellsten Bikes und Parts auf Herz und Nieren. Als Frühaufsteher und selbsterklärter Müsli-Connaisseur lebt er sein Leben frei nach dem Motto „Powered by Oats. And also Legs.“