Headlines wie diese gibt es viele. Und sie haben nur ein einziges Ziel. Eure Aufmerksamkeit. Schöne scheiße. Selber schuld! Und ehe du dich versiehst, hast du ein Wundermittel gekauft oder steckst in Artikeln wie diesem fest. Doch der hier ist anders – versprochen!

„Das Internet ist für uns alle Neuland“ waren die viel diskutierten Worte der deutschen Ex-Kanzlerin Angela Merkel und auch wenn sie damit 2013 von vielen belächelt wurde, hatte sie nicht ganz unrecht. Die wenigsten von uns würden diesen Satz unterstreichen, aber dennoch ist dieses besagte Internet ein ganz schön großes schwarzes Loch, in dem keiner so recht weiß, was Sache ist und in dessen Tiefen wir uns alle schon einmal verloren haben. Hand aufs Herz – wer kann dem Sog wirklich widerstehen? Wie Drogensüchtige hängen wir auf YouTube, Insta oder Tiktok ab, immer auf der Suche nach dem nächsten Informationskick oder der kurzen Belustigung. Unser Konsumverhalten hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten bahnbrechend verändert. Jap genau, das war noch die Zeit, als es Tamagotchis gab, aber kein iPhone, kein Facebook, kein YouTube oder Spotify. Egal ob Influencer, Gesetzgeber oder Nutzer – kaum einer kann das Internet in seiner Ganzheit begreifen und kaum einer hat gelernt, damit richtig umzugehen. Welcome, KI …

Maximale Reizüberflutung, minimale Aufmerksamkeitsspanne. In Kombination mit süchtig machenden Inhalten und Algorithmen sorgt das schnell für Überforderung. Hinzu kommen die unendlich vielen Möglichkeiten zur Recherche. Doch alles, was über die Tiefe eines TikTok-Videos hinausgeht, wird schnell weitergescrollt. Ist ja nicht zumutbar. Die „Medien-Opfer dieses Internets“ findet man nicht nur im Trash-TV, sondern überall. Auch in unserer Branche. Offline wie online. Denn unser geliebter Sport bietet ein verdammt hohes Potenzial für viel Konsum. Racer, Medien, Influencer und Hersteller sind im ständigen Duell um eure Aufmerksamkeit und werben mit krasser Action, Bling-Bling Komponenten, Fail-Videos und wilden Ideen. Und wenn mal kein Rad zu sehen ist, geht es meistens um Good Life, geile Camping-Vans und Outdoor-Gadgets.

Keine Sorge: Wir wollen hier nicht auf andere zeigen, sondern vielmehr offen reflektieren, was wir da machen. Denn auch wir als Magazin füllen eure Bildschirme und Gedanken. Gleiches gilt auch für Content Creator wie Jasper Jauch, der nicht umsonst auf unserem Cover seine Faust ins Bild streckt. Bei einem gemeinsamen Camping-Trip hatten wir eine lange Diskussion auf dem Trail und am Lagerfeuer, über genau dieses Thema und haben einige wichtige Fragen aufgeworfen, die uns alle etwas angehen: Produzieren wir eigentlich den Content, den wir wirklich wollen? Und was macht das mit den Lesern, Followern und Konsumenten? Schaffen wir neue Freiheiten oder neue Abhängigkeiten? Fördern wir die mentale Gesundheit oder doch eher die Konsumsucht, indem wir von den geilsten Bike-Spots dieser Welt, den neuesten Trainingsmethoden oder sündhaft teuren Bikes und Parts berichten?

Smart Convenience oder dummer Konsument?

Viele Apps oder Websites, die ihr heute öffnet, sind direkt auf euch und eure Vorlieben zugeschnitten. Euer neues Traum-Bike, über das ihr noch vor Kurzem mit euren Kumpels gequatscht habt, wird plötzlich als Erstes bei Instagram angezeigt. Die neuesten Komponenten poppen als Werbeanzeige beim aktuellen Wetterbericht auf und der nächste Online-Shop schlägt euch schon mal vor, die Tubeless-Milch im Warenkorb aufzunehmen. Kann man ja immer mal gebrauchen, richtig?

Egal wo ihr euch bewegt, es wird getrackt, zugehört und gespeichert. So fühlt es sich zumindest an, aber wer weiß das schon. Teilweise reicht es schon, einfach etwas länger auf einem Instagram-Post zu verweilen, und schon sind unsere Interessen gespeichert. Und das womöglich nur, weil gerade der Kurierdienst mit der Tubeless-Milch geklingelt hat und ihr euer entsperrtes Handy mal eben zur Seite gelegt habt. Daten sind nun mal die neue Währung des Internets und Staatsoberhäupter, Politiker und Geschäftsleute streiten sich vor Gericht mit Datenschützern und Geheimdiensten. Klar, denn richtig angewendet sind sie von enormem Wert. Wer hier nicht mitspielen möchte, muss sich aktiv dagegen wehren und das ist gar nicht so einfach. Gleichzeitig ist die Krux, dass alles so verlockend aussieht und so gut zu den eigenen aktuellen Bedürfnissen passt. Weil irgendwie ist es ja schon geil, wenn irgendjemand … äh irgendwas weiß, was ich will. Hat sich nicht jeder schon mal erträumt, dass einem die Wünsche von den Lippen abgelesen werden, bevor man sie überhaupt ausgesprochen hat? Tadaaa – here we go!

Attention, please!

Brandon Semenuk fliegt im Double Tailwhip durch die Luft und landet butterweich. Next. Zerrissenes Shirt, zerkratzter Lenker und gebrochene Knochen, weil der Drop doch nicht geklappt hat. Next. Geiles Panorama, hohe Berge und ein einsamer Van, wie er mutterseelenallein bei Sonnenuntergang die Passstraße entlangfährt. Next. Klickende Freiläufe, blinkende Parts und sündhaft teure Tools, mit denen die nächste geile Karre zusammengeschraubt wird. Next. Social Media.

Alles wird konsumiert, aber so kurz wie möglich und so viel wie geht. Man möchte schließlich nichts verpassen. Ironischerweise aber auch keine kostbare Zeit verschwenden. Wo treiben sich die Kumpels rum? Welcher Bikepark hat womöglich schon offen und gibt es irgendwelche neuen fancy Parts oder krasse Stürze, die man dann noch schnell verschicken kann? Alle haben eine gute Zeit, geilen Stuff und coole Locations, während man hier im Alltag gefangen sitzt und nicht weiß, was man mit sich anfangen soll.

Geht es uns fleißigen Content-Postern dabei wirklich besser? Der ständige Druck, neue Ideen zu finden, neuen Content zu erfinden und sich von der Masse abzuheben. Es wird an fancy Orte gereist, das krasseste Essen bestellt oder stundenlang auf das beste Licht gewartet, nur, um dann schnell aus allen Perspektiven ein Foto davon zu machen und es dem Internet präsentieren zu können. Der eigentlich schöne Moment, die gute Stimmung oder die echte Kulinarik werden dabei meist komplett vernachlässigt, und von Genuss ist nicht die Rede. Es darf aber auf keinen Fall gestellt aussehen, sondern soll so wirken, als wäre es völlig normal. Kann schließlich jeder zu jeder Zeit so erleben. Dass es anstrengend ist, man ordentlich genervt ist, wenn etwas nicht aufs erste Mal passt oder kaum Schlaf findet nach den vielen Autobahnkilometern, Produktionen und Diskussionen – … muss man ja nicht einfangen … Dafür aber die Aufmerksamkeit, und keiner wird den Aufwand dahinter hinterfragen, oder?

Aufmerksamkeit war schon immer ein Geschäft. Im alten Rom oder im Mittelalter genauso wie bei der Erfindung der Einkaufshäuser oder heute auf Tiktok. Wer ist der lauteste Marktschreier? Wer schafft es, die Aufmerksamkeit und das Interesse der Kunden auf sich zu ziehen? Das Problem heute: Alles und jeder kann zum Marktschreier werden. Und die Plattformen und Algorithmen belohnen genau die, die für noch ein bisschen mehr Aufmerksamkeit sorgen können – unabhängig von der Qualität oder dem inhaltlichen Wert des Contents. Und das Beste an der heutigen Zeit? Es gibt keine lokale Konkurrenz wie damals auf dem Markt, sondern von überall aus der Welt wird geschrien und der Lauteste gewinnt.

Always online

Um sich als Content Creator von der Masse abzuheben, muss oft tief in die Trickkiste gegriffen werden, um die schnelllebige Aufmerksamkeit zu catchen und clevere Strategien an den Tag legen. Die Konkurrenz schläft nicht. Wortwörtlich! Das kostet Zeit, Nerven und Durchhaltevermögen. Es wird oft inszeniert, gefakt und die absoluten Highlights davon im Internet präsentiert.

Zudem herrscht der ständige Konkurrenz-Druck. Was machen die anderen Magazine, Influencer oder der Bike-Buddy von früher? Das ähnlich geile Bike, die ähnlich hübsche Freundin oder derselbe coole Van? Fuck – wie heb ich mich davon ab? Egal ob professioneller Influencer, großes Magazin oder auf dem privaten Instagram-Account.
Fließt dann noch Geld bei der Sache, hängt der ganze Lebensunterhalt davon ab und wird um Sponsoren, Unterstützer oder Spenden gekämpft, steigt der Druck weiter. Urlaub? Hm, schwierig, denn wer mal ein paar Wochen nichts von sich hören lässt, rutscht schnell aus jeglichen Algorithmen raus. Keine Aufmerksamkeit, keine Klicks, kein Geld …

Die psychische Belastung daraus ist enorm und hat schon viele „Opfer“ gekostet. Zunehmend kann man auch beobachten, wie sich Bike-Profis für kurz oder lang aus den sozialen Netzwerken verabschieden oder andere damit beauftragen, diesen Teil für sich zu übernehmen. Wusstet ihr zum Beispiel, dass Stars wie Loïc Bruni nur selten selbst etwas posten? Doch leider kann sich das nicht jeder leisten, denn im Mountainbiken fließt selten das große Geld und so muss eben ein anderer Weg gefunden werden, sein Leben und den dazugehörigen Lifestyle zu finanzieren. Wagt man den Blick auf den Profi-Sport im Allgemeinen, fällt einem auf, dass in Sportarten mit höheren Paychecks und größeren Prämien wesentlich weniger Social Media Präsenz herrscht oder selbst gepostet wird. So entwickelt sich Social Media für viele in unserem Sport ungewollt zum festen Bestandteil ihrer Arbeit und für die meisten führt kein Weg drumherum. Denn man hat Einnahmequellen gefunden, die einem Freiheit versprochen haben und am Ende aber in harte Abhängigkeiten von Algorithmen führen. Von denen man dann auch als Konsument eingefangen wird.

Und nun?

Höchste Zeit, unsere Unabhängigkeit wieder zurückzuerobern. Aber wie? Eine perfekte Lösung gibt es nicht, aber eine wichtige Frage schon. Was tut uns selbst gut? Oder andersherum: Was nicht? Und zwar nicht nur während des Konsums, sondern vor allem danach. Bildschirmzeit beschränken, das Handy einfach mal ausmachen und zur Seite legen – die gut gemeinten Ratschläge der Eltern holen uns gerade jetzt wieder ein, wo es um die propagandierten Vorteile der KI geht: der pure Zeitgewinn. Blickt man tiefer, geht es um Wohlfühlen, Energie und Gesundheit. Digital Detox – meist wird der Term inflationär umhergeworfen, ohne ihn wirklich mal aufzunehmen. Erst wenn man sich mal davon freimacht, erkennt man wahre, bereichernde Werte wie Freunde, Freude und Spaß an der Natur und dem, was das Fundament bildet. Und wie von selbst fließen Dopamin, Serotonin – selbst produzierte Drogen, die man sonst versucht, mit Konsum extrinsisch heraufzubeschwören. Für einen kurzzeitigen Zustand, den man mit immer mehr übertrumpfen will. Es tut gut, mal nicht das zu machen, was von außen gesteuert wird. Und auch wenn alles in den Medien nach Good Life, Good Times und Good Money aussieht, wissen wir jetzt, dass es das in den meisten Fällen nicht ist. Auch aus eigener Erfahrung!

Und auch als Content Creator wird man schnell zum Abhängigen, den die gleichen Schicksale ereilen wie seine Follower. Denn man lässt sich ständig von der Konkurrenz inspirieren, beeindrucken und beeinflussen. Leistungsdruck und Fear of Missing out? Absolut! Zudem kann es richtig nervenraubend und frustrierend sein, ständig nach den Regeln der Plattformen spielen zu müssen und mit der nächsten Idee daherzukommen, um noch mehr Aufmerksamkeit zu erhaschen. Nicht umsonst hat auch Jasper klargestellt, dass sein Fokus ganz klar auf nachhaltigem Content liegt, der auch nach einigen Jahren noch einen Mehrwert für den Zuschauer bietet. Und eine regelmäßige Pause von Social Media gehört für ihn dazu, um Abstand vom kurzweiligen Konsum zu bekommen. Wir als ENDURO Magazin haben uns zudem gegen Plattformen wie YouTube und Co. entschieden und arbeiten hart am Aufbau unserer eigenen Kanäle wie der kostenlosen App und unserem Newsletter. Denn nur so hat man weitestgehend die Kontrolle und ist nicht auf unberechenbare Algorithmen und Regeln von anderen angewiesen. So können wir so viel Content produzieren und veröffentlichen, wie wir für sinnvoll halten, und wir überschütten euch nicht mit dramatisierten Videos und News. Vielmehr können wir uns so voll und ganz auf die Qualität des Contents konzentrieren. Am Ende muss das aber jeder für sich selbst entscheiden und wissen, welches System am besten für einen funktioniert. Wichtig ist, ein Bewusstsein zu entwickeln und den Willen zu besitzen, auch mal etwas zu probieren oder zu ändern. Und das fängt damit an, dass man nicht mehr jedes Spiel mitspielt.

Der geliebte MTB-Lifestyle, der uns alle hierher gebracht hat, ist ein Paradebeispiel für modernen (Medien-)Konsum und das ist auch okay so – in gewissen Grenzen. Nicht nur am damaligen Lagerfeuer-Talk mit Jasper, sondern auch allgemein finden wir es wichtig, uns zu fragen, ob wir so leben, wie wir eigentlich wollen. Uns infrage zu stellen und zu reflektieren. Auf jeden Fall ist es höchste Zeit, unsere Unabhängigkeit wieder zurückzuerobern.

Wundermittel gegen Clickbait und Aufmerksamkeitsdiebstahl gibt es nicht – es ist wie mit allem: Es hängt an euch und erfordert Disziplin. Selten ist der Moment so schön, wie er dargestellt wird und selten ist die Arbeit so einfach, wie sie aussieht. Ein bewusster Konsum ist ein gesunder Konsum und eine gelegentliche Auszeit hat noch niemandem geschadet. Vielmehr: Man erfährt, was echten Mehrwert hat. Probiert es einfach (mal wieder) aus, auch wenn ihr glaubt, es nicht nötig zu haben. Bis dann *Zapp


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Text & Fotos: Peter Walker

Über den Autor

Peter Walker

Peter ist nicht nur ein Mann der Worte, sondern auch der Taten. Mit ernsthaften Bike- und Schrauber-Skills, seiner Motocross-Historie, diversen EWS-Teilnahmen und über 150 Bikepark-Tagen in Whistler – ja, der Neid der meisten Biker auf diesem Planeten ist ihm gewiss – ist für Peter kein Bike zu kompliziert und kein Trail zu steil. Gravel und Rennrad kann er übrigens auch! Das für unsere redaktionelle Arbeit wichtige Thema Kaufberatung hat Peter in Vancouvers ältestem Bike-Shop von der Pike auf gelernt und setzt sein Know-how auch im journalistischen Alltag um. Wenn er nicht gerade die Stuttgarter Hometrails auf neuen Test-Bikes unsicher macht, genießt er das Vanlife mit seinem selbst ausgebauten VW T5. Dass er dazu noch ausgebildeter Notfallsanitäter ist, beruhigt seine Kollegen bei riskanten Fahrmanövern. Zum Glück mussten wir Peter bislang nie bei seinem Spitznamen „Sani-Peter“ rufen. Wir klopfen auf Holz, dass es dazu auch nie kommen wird!