Wir haben die 8 modernsten Light-E-MTBs über spanische Trails gejagt, unzählige Testkilometer abgespult und wichtige Erkenntnisse gesammelt. Denn was auf dem Papier gleich aussehen mag, entpuppt sich auf dem Trail oft als völlig gegensätzlich. Wir haben unsere spannendsten Erkenntnisse aufgelistet und sagen euch, was ihr vor dem Kauf beachten solltet!

Für manche Bike- und Motorenhersteller kann dieser Artikel und auch unser Vergleichstest schmerzhaft sein. Dem Endkunden spart er dafür hart verdientes Geld und miese Laune. Sicher hat niemand Bock darauf, dass das 10.000 € teure Bike plötzlich nicht mehr anspringen will oder erst gar nicht zu den eigenen Anforderungen passt. Denn viele der neuen Light-E-MTBs leiden noch unter Kinderkrankheiten.

Light-E-MTBs sind noch nicht auf dem Stand von analogen MTBs

So viele Defekte und Probleme wie in diesem Light-E-MTB-Vergleichstest hatten wir schon lange nicht mehr… Woran das liegt? Bei der Entwicklung von Light-E-MTBs muss wesentlich mehr beachtet werden als bei analogen Bikes. Die Bike-Hersteller sind gezwungen, sich auf Motorenhersteller zu verlassen und umgekehrt. Einerseits gilt, dass der beste Motor nur so gut ist, wie das Bike, in dem er steckt. Andererseits bringt das beste Bike nichts, wenn der Motor nicht (zuverlässig) funktioniert. Gerade den Motorenherstellern kommt hier eine große Verantwortung zu – nicht nur bei der Entwicklung, sondern vor allem auch bei Produktionsqualität und technologischer Marktreife. Die Anforderungen an E-Motoren werden in Sachen Hard- und Software immer komplexer. Funktioniert etwas nicht richtig, bedeutet das für die Bike-Hersteller, dass sie Bikes nicht ausliefern können oder – falls sie es doch tun – im Service horrende Aufwände und Kosten entstehen. Dazu kommen eigens entwickelte Lösungen wie Ladeports und Akkuentnahme, um sich von der Konkurrenz – die ja eventuell auf dasselbe Motorsystem setzt – abzuheben, ohne dass ausreichend getestet wird, ob es überhaupt dem Qualitätsanspruch entspricht. So leiden die neuen Light-Motoren noch an Kinderkrankheiten, und mehr als die Hälfte der Bikes im Vergleichstest hatte Soft- oder Hardware-Probleme und ist teils gar nicht mehr gestartet – ätzend! 2021/22 kamen natürlich viele Faktoren zusammen – der gesamte Markt hat nach Produkten und „Nachschub” geschrieen, die Produktionsqualität der Hersteller oder Zulieferer war seit den Corona-Lockdowns eh schon geschwächt, und vielen konnte es nicht schnell genug gehen, bis die neuen Motoren auf den Markt kamen – sowohl bei FAZUA als auch bei bei TQ und anderen Herstellern gab es immer wieder Verschiebungen des Markteintritt-Termins. Fakt ist: Die Marktreife war bzw. ist noch immer nicht ganz da, was sich in den vielen Ausfällen in unserem Vergleichstest zeigt.
Wer sich also aktuell (Stand: März 2023) einen Vertreter der neusten Generation von Light-E-MTBs kauft, bekommt definitiv eine verdammt spaßige Gattung an E-Mountainbikes, muss aber auch damit rechnen, dass man mal spontan die Ausfahrt absagen muss, weil das Bike nicht anspringt oder noch mit Software-Updates beschäftigt ist.

Trek integriert den TQ-Motor und ermöglicht einen nach unten herausnehmbaren Akku mit schlanker Optik.
Die längliche Form des FAZUA-Motors sorgt für die Hockey-Schläger-Optik, obwohl sich der Akku hier nicht entnehmen lässt.

Hardware mit Kompromissen

Die Entwickler von Forestal haben den ganzheitlichen Entwicklungsansatz – den wir auch von Specialized kennen – gewählt und sich nicht vollständig auf einen Motorenhersteller verlassen, sondern es selbst in die Hand genommen. Mit ihrem Touchdisplay und dem riesigen Funktionsumfang ihres Systems und der dazugehörigen App zeigen sie, wie die Zukunft von E-Mountainbikes aussehen kann, auch wenn nicht alles perfekt funktioniert. Im Gegensatz dazu stellt das FAZUA-Team seine neue, im Oberrohr integrierte LED HUB vor, die lediglich fünf leuchtende LEDs und einen ca. 1 Ampere starken USB-C-Ladeport bietet. Sie hinkt in der Darstellung den Displays von TQ, Forestal und Shimano hinterher. Auch die Remoten von FAZUA und Forestal überzeugen weder im Look noch in der Haptik und passen nicht zum Preisschild der Bikes. Auch die Motorintegration von FAZUA kann nicht mit dem schlanken Design von TQ und Bafang mithalten und sorgt für einen Hockeyschläger-artigen Look vieler Bikes. Bei Shimano ist seit Jahren bekannt, dass alle Motoren in der Abfahrt ein metallisches Klappern von sich geben – ganz egal, wie ruhig das Bike selbst ist und der EonDrive-Motor von Bafang begleitet euch im Uphill mit einer Art Turbopfeifen. Lediglich der TQ-Motor schafft es auch unter Volllast, nur kaum hörbare Geräusche von sich zu geben. Es ist dennoch beeindruckend zu sehen, welche Schritte die Motorenentwicklung gemacht hat und wie schlank aktuelle E-MTBs sein können – doch häufig gibt es nach wie vor Kompromisse und Kinderkrankheiten. Software-Probleme kann der Kunde – auch wenn das bei einem 10.000-€-Bike nervig ist – auch nach dem Kauf noch lösen, mit der Hardware muss er allerdings weitestgehend leben, außer die Hersteller bieten in Zukunft verbesserte und kompatible Ersatzteile an.

Top-Modell ≠ Top-Performance

Wir sind in einer Zeit angekommen, in der Bike-Hersteller keine Top-Modelle mehr anbieten können, ohne sündhaft teure Carbon-Komponenten oder Bling-Bling-Titanschrauben und Kashima-Beschichtungen zu verbauen. Obwohl sie wissen, dass es auf dem Trail nicht unbedingt die bessere Lösung ist. Gute Beispiele sind hier OnePiece-Cockpits, die schick aussehen, aber sündhaft teuer sind und keine Verstellbarkeit bieten; oder Carbon-Laufräder, die zwar in den meisten Fällen einen schnelleren Antritt ermöglichen und Gewicht sparen, aber für viele Fahrer einfach zu steif und direkt sind und im Falle eines Durchschlags oft zum teuren Totalausfall führen. In unserem Test bieten FOCUS, Pivot und SIMPLON einen teureren Spec an, der auf dem Trail aber keinen Mehrwert bietet. Im Gegenteil – man muss sogar Abstriche bei der Trail-Performance in Kauf nehmen. Genauso hätte voraussichtlich eine billigere Ausstattung des SCOTT und des Trek besser in diesem Vergleichstest abgeschnitten. In unseren Tuning-Tipps geben wir euch – z. B. bei unserem Testsieger SIMPLON – Empfehlungen, wie ihr bereits beim Kauf ordentlich Geld sparen könnt.

Light-Motoren ermöglichen viele unterschiedliche Einsatzgebiete

Das wohl deutlichste Beispiel aus unserem Vergleichstest für die Vielseitigkeit der Light-Motoren ist der TQ HPR 50, der sowohl im SCOTT Lumen eRIDE 900 SL als auch im SIMPLON Rapcon Pmax TQ seinen Platz findet. Das SCOTT besitzt lediglich 130 mm Federweg an Front und Heck und entpuppt sich als flinkes Trail-Bike mit Cross-Country-Genen. Der sportive Charakter des Motorsystems und das niedrige Gesamtgewicht des Bikes – von gerade einmal 16 kg – lassen euch wie Nino Schurter die Trails hochdüsen. Im Gegensatz dazu setzt das SIMPLON mit stolzen 170 mm an der Front und 165 mm am Heck auf Ballerqualitäten. Da wir mit einem solchen Bike primär auf Schotterwegen den Berg erklimmen, ergibt das System auch hier Sinn und unterstützt euch beim gemütlichen Uphill, um noch mehr Runden zu ermöglichen, ohne zu dick aufzutragen.

Die Eckdaten der Motorsysteme unterscheiden sich auf dem Papier kaum, auf dem Trail aber enorm

Drei der verbauten Motorsysteme – nämlich der FAZUA Ride 60, der gedrosselte Shimano EP801 RS und der Bafang EonDrive – besitzen auf dem Papier 60 Nm Drehmoment. Auf dem Trail schieben sie mit ihrem Drehmoment alle gut an, allerdings hat die Motorcharakteristik, sprich die Art und Weise wie die Power entfaltet und bereitgestellt wird, einen sehr großen Einfluss auf das Handling und Fahrgefühl des Bikes. Und hier gibt es riesige Unterschiede! Die Dynamik, die sich bei FAZUA und Shimano anpassen lässt, spielt eine wichtige Rolle beim Einsetzen des Motors, was beim Anfahren oft mehr oder eben weniger Power vermuten lässt, als man wirklich hat. Dann bestimmt die Trittfrequenz-Bandbreite, in der euch der Motor unterstützt, in welchem Bereich ihr die Power auch wirklich abrufen könnt. Wenn es z. B. richtig langsam und steil wird, kann der Bafang-, aber auch der FAZUA-Motor, plötzlich nicht mehr mit der Shimano-Power mithalten. Auch bei der Akku-Größe scheinen viele der Bikes gleich, allerdings haben die Motorsysteme einen ganz unterschiedlichen Verbrauch, und der vermeintlich größte Akku bedeutet nicht, dass ihr damit auch die höchste Reichweite habt. Ein eindrückliches Beispiel ist hier das Forestal Siryon Diōde mit 360-Wh-Akku. Allein durch das eingeschaltete System sinkt beim Siryon der Akku-Ladestand. Wir haben während des Setups am Bike – was etwa 30 Minuten erfordert – beobachtet, wie der Akku bis zu 3 % verloren hat. Rechnet man das hoch, kosten 3 Stunden Biken alleine schon fast 20 % Akku, ohne dass man von der Stelle gekommen ist. Hinzu kommt der teils ganz unterschiedliche Akkuverbrauch der Systeme, der einerseits technologisch bedingt ist, andererseits von zahlreichen externen Faktoren wie Fahrcharakteristik (Trittfrequenz, Fahrergewicht und Tretverhalten) sowie Topographie und Fahrbedingungen abhängt.

Integration hat einen großen Stellenwert bei der Bike-Entwicklung eingenommen

Dass Integration in den letzten Jahren ein großes Thema bei den Bike-Herstellern geworden ist, ist kein Geheimnis mehr. Dass sich das Internet darüber die Mäuler zerreißt, auch nicht. Optik ist oft Geschmackssache, und dennoch gehört ein aufgeräumter und stimmiger Look zum meist sehr hohen Preisschild. Zudem gibt es verdammt praktische Integrationslösungen, wie etwa versteckte Mini-Tools und Ersatzteile, und sogar Hersteller wie SCOTT – die jedes Gramm zweimal umdrehen – packen unzählige versteckte Tools in ihre Bikes. So vergesst ihr nichts und müsst für die kurze Feierabendrunde nicht direkt mit Rucksack ausrücken. Auch weitere Anschraubpunkte für Tool-Straps oder Fender sind praktisch und stören nicht. Nervig hingegen sind einteilige Cockpits, die zwar für manche einen schönen Look bedeuten, aber keinerlei Spielraum für Einstellungen bieten. Das wohl am heißesten diskutierte Integrations-Thema sind innenverlegte Leitungen, die durch den Steuersatz oder sogar durch den Vorbau in den Rahmen geführt werden. Ja, es ist ein Mehraufwand beim Schrauben, aber sind wir mal ehrlich: Wer von uns schraubt unter Zeitdruck an seinem Bike, und wie häufig im Jahr zerlegt ihr wirklich euren Steuersatz oder verschiebt Spacer? Und falls ihr es dann doch einmal tut, ist der Mehraufwand auch kein Beinbruch. Zumal es gerade die Verlegung von Leitungen vereinfacht, da die zur Verfügung stehende Öffnung viel größer ist. Wem es dann immer noch ein Dorn im Auge ist, muss wohl auf die wenigen Bikes mit herkömmlicher Zugverlegung setzen. Aber alle Zeichen deuten darauf, dass wir in Zukunft mehr solcher Integrationslösungen sehen werden und eventuell bald die Leitungen unserer Schaltung und Bremsen direkt im Lenker verschwinden – wie es im Rennrad-Bereich schon seit Jahren Normalität ist.

Die neue Generation an Light-E-MTBs ist faszinierend und erschreckend zugleich. Erschreckend gut auf dem Trail, aber auch mit erschreckend vielen Ausfällen und Problemen, die man von Bikes, die teils weit über 10.000 € kosten, nicht erwarten würde und sollte! Wer sich traut, bekommt spaßige Bikes mit innovativer Technik, die auf dem Trail easy mit analogen MTBs mithalten können. Wir hoffen, die Entwicklung geht stetig weiter und die Kinderkrankheiten sind – in Form von Updates – bald Geschichte!


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Text: Peter Walker Fotos: Peter Walker, Mike Hunger

Über den Autor

Peter Walker

Peter ist nicht nur ein Mann der Worte, sondern auch der Taten. Mit ernsthaften Bike- und Schrauber-Skills, seiner Motocross-Historie, diversen EWS-Teilnahmen und über 150 Bikepark-Tagen in Whistler – ja, der Neid der meisten Biker auf diesem Planeten ist ihm gewiss – ist für Peter kein Bike zu kompliziert und kein Trail zu steil. Gravel und Rennrad kann er übrigens auch! Das für unsere redaktionelle Arbeit wichtige Thema Kaufberatung hat Peter in Vancouvers ältestem Bike-Shop von der Pike auf gelernt und setzt sein Know-how auch im journalistischen Alltag um. Wenn er nicht gerade die Stuttgarter Hometrails auf neuen Test-Bikes unsicher macht, genießt er das Vanlife mit seinem selbst ausgebauten VW T5. Dass er dazu noch ausgebildeter Notfallsanitäter ist, beruhigt seine Kollegen bei riskanten Fahrmanövern. Zum Glück mussten wir Peter bislang nie bei seinem Spitznamen „Sani-Peter“ rufen. Wir klopfen auf Holz, dass es dazu auch nie kommen wird!