Radon Factory-Teamfahrer James Shirley führt ein bisschen ein Vagabundenleben. Sein Bus ist umgebaut und voll ausgestattet mit einem Doppelbett, Arbeitsplatte, und allem, was ein EWS-Fahrer auf der Straße sonst noch so braucht. Dieses Mal berichtet er von der Enduro-Europameisterschaft, wo er eine Glanzleistung hinlegte und einen beeindruckenden 5. Platz erreichte. Seine Teamkollegin Raphaela Richter wurde dritte in der Eliteklasse der Damen, obwohl sie eigentlich noch Juniorin ist.

Die ersten europäischen Enduro-Meisterschaften der Geschichte fanden in Kirchberg, Österreich, am Wochenende vom 20./21. Juni 2015 statt. Das Event wurde mit voller Unterstützung und Supervision des Europäischen Radfahrer-Verbands durchgezogen, wodurch es möglich war, den Titel „Europameister“ ganz offiziell zu vergeben. Das, denke ich, ist ein wirklich historischer Moment in der Geschichte des Enduro Mountainbike Racing. Deshalb stand dieses Event auch ganz oben auf meiner Liste für die Saison.

The tools of the trade. Any EWS rider can be spotted by the van they hold all their possessions within...
ypisches Arbeitsgerät: EWS-Fahrer kann man an ihren Bussen erkennen, in denen sie ihren gesamten Hausstand herumfahren.
James' normal accommodation. Cozy.
James’ gewohnte Unterkunft: gemütlicher Schlafplatz.

Miles und ich kamen mit dem Bus in dem hübschen kleinen Alpendorf an und wurden gleich von ganz fürchterlichem Wetter begrüßt. Ich hatte mir ausgemalt („gehofft“ wäre vielleicht ein passenderes Wort), dass dieses Rennen unter den besten Fahrern Europas heiß umkämpft war – aber eigentlich hatte ich keine Ahnung, ob irgendwer sonst den gleichen Respekt und die gleiche Vorfreude dafür empfand. Als wir durch den Ort rollten und schließlich parkten, war es deshalb eine schöne Überraschung, zu sehen, dass sich hier bereits ein paar Top-Fahrer herumtrieben.

Zum ersten Mal seit langer Zeit hatte ich eine „richtige“ Unterkunft. Unser Manager Joost hatte ein Apartment für das Team gebucht – ein echter Luxus, vor allem wenn man bedenkt, dass ganz oben am Beginn der Stages gerade Neuschnee fiel. Schön war auch, mal wieder eine saubere, sichere Dusche zur Verfügung zu haben, denn die Gefahren des Vagabundenlebens begannen, mir zuzusetzen. Ein paar Tage zuvor hatte ich ein Bad in einem Fluss genommen und mir dabei an einem scharfkantigen Stück Abfall den Fuß aufgeschnitten. Sowas ist total dumm, passiert aber sehr leicht und hätte mir das Wochenende ohne Weiteres versauen können. Zum Glück war die Wunde an der Ferse: Ich konnte zwar nicht richtig laufen, aber Radfahren ging. Ich hatte auch Glück, dass sich die Wunde nicht entzündete – kein Mandelgeruch, nur Käsefüße.

Nach einem dreckigen Trainingstag wusste ich, was mich am Sonntag erwartete und was wichtig sein würde: warm anziehen, die Stimmung hochhalten, extra Goggles, Handschuhe und Taschentücher mitnehmen und einfach allgemein gut auf mich aufpassen. Es war klar, dass sich die Stages noch verändern würden. Also versuchte ich mich nicht zu sehr darauf zu konzentrieren, irgendwelche Lines auswendig zu lernen, sondern einfach nach vorne zu schauen, entspannt zu bleiben und mit einem guten Gefühl ins Rennen zu gehen. Das Wetter war so schlecht, dass die Veranstalter sich zu meiner Erleichterung entschieden, den für Samstagabend geplanten Prolog zu streichen.

After a filthy day of practice I knew what to expect for Sunday. It would be important to wrap up warm, stay stoked, take spare goggles, gloves, tissues and generally make sure to look after myself.
Nach einem dreckigen Trainingstag wusste ich, was mich am Sonntag erwartete und was wichtig sein würde: warm anziehen, die Stimmung hochhalten, extra Goggles, Handschuhe und Taschentücher mitnehmen und einfach allgemein gut auf mich aufpassen.

Ich fuhr ziemlich gut während des Trainings, aber unter dem Druck des eigentlichen Rennens ist es eben immer schwieriger. Ich ließ mir, teilweise wegen des Zeitdrucks, nicht viel Zeit zum Aufwärmen vor der ersten Stage und vergaß auch, meine Bremsen vorzuwärmen. Am Anfang war das noch okay, aber als der schwierige Teil im Wald kam, war ich zu zaghaft, klickte einen Fuß aus und fuhr gegen einen Baum, verbog meine Sattelstütze, meinen Lenker und die Bremshebel und musste den Rest der Strecke rennen. Was ein Desaster! Das Rennen dauerte gerade mal eine Minute und ich hatte es schon vermasselt. Ich ging auf direktem Weg zu den Boxen, um mein Bike und meine mentale Verfassung wieder hinzukriegen. Auf dem Weg zur zweiten Stage schaffte ich es sogar, mich zu verfahren (wie viele andere übrigens auch), da die Beschilderung wirklich nicht sehr gut war. Schließlich kam ich an, wo ich sein sollte, und konzentrierte mich ganz auf die bevorstehende Aufgabe. Die Strecke hatte sich seit dem Training sehr verändert, es hatten sich riesige Löcher und ausgefahrene Spuren gebildet. Manche halfen mir, auf meiner Linie zu bleiben, andere waren unbedingt zu vermeiden. Ich machte hier ein paar große Fahrfehler, aber es gelang mir auch, an einigen Stellen geschickt zu improvisieren, und ich kann mit Freude sagen, dass ich die Stage gewann.

Stage 3 was another tricky stage but it held up well to the conditions since the majority of the trail was reasonably hard parked.
Stage 3 war auch schwierig, aber hielt dem Wetter ganz gut stand, da der größte Teil des Trails auf härterem Untergrund war.
My spike tyres rolled slowly and struggled to cling on in the fast gravel turns but I made it down clean with no major dramas.
Meine Spikereifen rollten langsam und hatten in schnellen Schotterkurven zu kämpfen, aber ich kam heil und ohne größere Dramen unten an.

Um das Ganze noch ein bisschen aufregender zu machen, änderte die Rennorganisation nun die Startreihenfolge und wir fuhren nun in umgekehrter Reihenfolge zu den bisherigen Rängen, sodass der schnellste Fahrer als letzter das Startgatter verlassen würde. Wie beim Downhill gab es bei dieser letzten Stage Live Timing, sodass die Fahrer und Zuschauer direkt sehen konnten, wer gewonnen hatte, sobald alle im Ziel waren. Die zweite spannende Sache an der letzten Stage war, dass sie über 50 % der Gesamtrennzeit ausmachte, also sehr lang war (über 15 min bei den Männern und über 17 min bei den Frauen) und daher eine Menge körperliche Ausdauer und technisches Können erforderte, wenn man hier gut abschneiden wollte.

Erstaunlicherweise war ich der drittletzte Fahrer, der sich auf den Weg hoch zum Beginn des letzten Runs machte. Bescheiden wie ich bin, sagte ich im Spaß zum Anweiser, dass das ja wohl ein Fehler sei, aber er wies mich freundlich darauf hin, dass hier ja wohl alle den ganzen Tag Fehler machten. Als ich so darüber nachdachte, schien mir meiner auf der ersten Stage nicht so schlimm gewesen zu sein, und danach fühlte ich mich selbstsicher und hatte Spaß. Aber als ich dann in der Gondel saß, war es eine lange und einsame Fahrt. Ich tat mein Bestes, um meine Nervosität im Zaum zu halten und (ja wirklich) konnte mich nicht entscheiden, was ich anziehen sollte. Ich glaube, ich habe mich auf dem Weg da hoch vier oder fünf Mal umgezogen. Unterhemd an, Unterhemd aus, Winterhandschuhe, Sommerhandschuhe, Unterhemd an, Halswärmer an, Halswärmer aus, Unterhemd aus, Helm auf, Googles auf, los ging’s.

Sweet as deckchairs. Good old 'Jamesy Boy'
Voll tolle Liegestühle, auch einer für den guten alten ‚Jamesy Boy’.
Rockin' the podium - James fought for a hard earned position in awful conditions.
Rock das Podium – James erkämpfte sich einen hart verdienten Platz unter fürchterlichen Bedingungen.

Ich schaffte es, mich gut auf die physischen Herausforderungen der Strecke einzustellen, und versuchte, auf den technischen Stellen wirklich an die Grenze zu gehen. An manchen Stellen war ich sehr stürmisch, wie ein einziger langer, aber kontrollierter Fehler. Zwar fuhr ich wirklich so schnell wie ich konnte angesichts der schlechten Sichtverhältnisse, aber unglücklicherweise war das nicht schnell genug, um gegen Rémy Absalon anzukommen, der sich auf den zweiten Platz vorkämpfte. Er beendete das Rennen mit einer Gesamtzeit, die nur 5 s schneller war als meine, nach 28 min Rennzeit. Ganz schön knapp. Am Ende musste ich mich mit dem vierten Platz zufriedengeben. Obwohl ich die Medaille knapp verpasst hatte, war das einer meiner stolzesten Momente: auf einem Podium zu stehen neben Rémy Absalon und Jerome Clementz, dem ersten Enduro-Europameister. Herzlichen Glückwunsch, die Herren!

Es hat mich auch sehr gefreut, dass meine junge Teamkollegin Raphaela, die technisch noch Juniorin ist, die Bronzemedaille in der Eliteklasse der Frauen gewann. Auch hier war der Abstand zum zweiten Platz sehr knapp, aber sie hat noch viele Meisterschaftsrennen vor sich in den nächsten Jahren.[/caption]

Man kommt zu leicht auf diese ‘was-wäre-gewesen-wenn’-Gedanken. ‚Wenn‘ ist so ein großes Wort im Sport, und ich versuche es so wenig wie möglich zu verwenden. Mir gefällt das nicht, wenn ich andere Fahrer frage, wie ihr Tag war, und alles was sie mir erzählen können, ist, wo und wie sie Zeit verloren haben. Das Rennen ist (hoffentlich) für alle das gleiche, und wir sind alle nur Menschen. Ich muss zugeben, ich schaue schon immer auf die Anzeige, um zu sehen, wie eng die Abstände nach vorne sind. Genauso erstaunlich ist jedoch, wie weit auf die hinteren Plätze die Abstände genauso knapp bleiben. Dieses Wochenende war eine besondere Herausforderung, weil so viele Variablen mit reinspielten, eine wirkliche Prüfung für die Fahrer. Soweit ich das beurteilen kann, war es ein großer Erfolg. Ich bin einfach glücklich, dass ich ein Teil davon sein konnte, und mich freu‘ mich aufs nächste mal.

Hier gehts zu den bisherigen Teilen der Serie:

Text & Bilder: James Shirley


Hat dir dieser Artikel gefallen? Dann würde es uns sehr freuen, wenn auch du uns als Supporter mit einem monatlichen Beitrag unterstützt. Als ENDURO-Supporter sicherst du dem hochwertigen Bike-Journalismus eine nachhaltige Zukunft und sorgst dafür, das die Mountainbike-Welt auch weiter ein kostenloses und unabhängiges Leitmedium hat. Jetzt Supporter werden!