Hello America! | Part #10 – Neue Freunde in luftigen Höhen.
In zwei verschiedenen Ländern, 6.600 km von ihrer Heimat entfernt – wir haben zwei Jungs gefunden, die sprichwörtlich ihr Leben getauscht haben: einer in Amerika, der andere in Deutschland. Wie fühlt sich Radfahren in der jeweils neuen Welt an? Wer findet die besten Trails? Wer das beste Bier? Nehmt teil an ihren Geschichten und folgt ihren Abenteuern auf den Trails der neuen Welten.
Wollt ihr auch immer an diese Orte fahren, die ihr in den Magazinen seht? Und habt weder eine Ahnung, wie ihr da hinkommen sollt, noch wie es weitergeht, wenn ihr mal auf dem Trail seid? Ich lechze schon seit Jahren nach allem, was man in diesen wunderschönen Fotoessays sieht – aber ich wusste nie, wie ich das am Besten anfange. Nun stellte sich heraus, dass man einfach nur ein paar Freunde fragen musste.
Wo fange ich an?
Ich fahre so ziemlich alles gerne, ich bin einfach gern auf dem Rad. Und obwohl ich viele Trails kenne, mag ich es manchmal lieber, mich von jemandem auf eine Tour mitnehmen zu lassen. In den letzten Jahren habe ich eine Menge Artikel über fantastische Trails überall auf der Welt gelesen und viele davon sind mit Karten und GPS-Tracks versehen, damit „jeder“ sich zurechtfinden kann. Jetzt habe ich zwar einen ganz guten Orientierungssinn, aber ehrlich gesagt, funktioniert das für mich an neuen Orten nicht so richtig: Als ich einmal in den Alpen unterwegs war, war die einzige Trailmarkierung ein bemalter Felsbrocken. Aber wenn ich so weit von zu Hause weg bin, brauche ich mehr als einen Stein mit Farbe drauf, um sicherzugehen, dass ich in die richtige Richtung fahre. Und ich will auch nicht alle 10 min eine Karte rausholen oder die ganze Zeit auf mein GPS starren müssen – oder hören, wie es mich anbrüllt, dass ich IMMER NOCH in die falsche Richtung fahre. All diese Probleme lassen sich lösen, indem man sich mit einem Einheimischen verabredet. Dann kann man die Aussicht und die Fahrt einfach nur genießen.
Letzten Winter habe ich eine Snowboard-Tour mit „The Rider Social“ in Châtel in Frankreich gemacht. Es war ein Splitboard-Einführungskurs, der komplett von Englisch-Muttersprachlern geführt wurde. Vermutlich sprechen sie auch Französisch, aber das war für mich nicht relevant. Diese Tour war für mich eine großartige Gelegenheit, um eine Woche in den Bergen zu verbringen und die Grundlagen des Splitboarding in Portes du Soleil zu lernen. Der Urlaub erwies sich als relativ noble Angelegenheit. Wir wohnten in einem wunderschönen Chalet und Frühstück und Abendessen wurden immer für uns zubereitet, wobei „zubereitet“ ganz klar eine Untertreibung ist: Es handelte sich wirklich um Gourmetkost. Das Essen war so gut, dass ich nach ein paar Tagen bereit war, wirklich alles zu essen, was mir vorgesetzt wurde – sogar Dinge, die in meiner Welt eigentlich gar nicht gehen, wie z. B. Pilze. Aber das Essen war so vorzüglich, dass mir Dinge geschmeckt haben, die ich mein Leben lang gemieden hatte wie der Teufel das Weihwasser.
Ich wusste, dass ich im Sommer in die Gegend zurückkehren würde und bevor ich nun Richtung Châtel aufbrach, schrieb ich meinen Snowboard-Guides Paul und Rory eine E-Mail. Vielleicht kannten sie ja jemanden, der mich auf eine alpine Mountainbike-Tour mitnehmen könnte. Mein hauptsächlicher Grund für diese Reise waren die Bikeparks, aber ich wollte unbedingt auch eine schöne, anspruchsvolle Fahrt auf großer Höhe und mit Lift unternehmen. Die beiden verwiesen mich ohne Zögern an Lloyd Grace.
Locals sind Helden!
Also kontaktierte ich Lloyd, der tatsächlich meinen Kumpel Axel und mich gerne mit auf eine Tour nehmen wollte, wenn wir in der Stadt waren. Lloyd hat ziemlich viel zu tun, weil er ein eigenes Transportunternehmen namens „Professional Transfers“ hat, das hauptsächlich Leute von Genf nach Châtel bringt und umgekehrt. Trotzdem war es nicht schwer, einen Termin zu finden, schließlich geht er anscheinend täglich fahren. Aber natürlich wusste ich zu dem Zeitpunkt nichts über ihn außer dem, was Rory und Paul erzählt hatten und so warteten wir zur verabredeten Zeit am Hauptgondellift in Châtel.
Wir hatten die Fahrt um ein paar Stunden verschoben, um einem der seltenen Regenschauer aus dem Weg zu gehen, und pünktlich auf die Minute kamen zwei Typen auf den Lift zugesprintet, als wäre es das Ende einer Tour-de-France-Bergetappe. Ich halte mich ja für ziemlich alt, ich bin 41, aber ich fahre jetzt besser als zu fast jedem anderen Zeitpunkt in meinem Leben. Als Lloyd auf uns zurollte und sich mit einem Lächeln vorstellte, sah ich, dass er vermutlich noch älter war als ich. Außerdem ließ der Durchmesser seiner Waden vermuten, dass er Axel und mich wahrscheinlich ernsthaft leiden lassen würde. Lloyd ist ein geradliniger Typ und das merkt man schon an seinem Auftreten. Er brachte auch noch seinen Kumpel Hugo mit und wir vier stiegen ohne weiteren Verzug in den Lift.
Lloyd und ich bemerkten sofort, dass wir beide Allsport Dynamics Carbon Wrist Braces am linken Handgelenk trugen. Seine OP wegen einer distalen Radiusfraktur war etwa acht Wochen her, während meine schon zweieinhalb Jahre zurücklag. Wir fanden heraus, dass wir beide über den Lenker geflogen waren und dabei exakt die gleiche Armbanduhr getragen hatten, eine Tissot T-Touch Titanium. Das mag ein Zufall sein, aber trotzdem wäre die naheliegende Schlussfolgerung, dass man beim Fahren wirklich keine Armbanduhr tragen sollte – oder zumindest nicht diese.
Wir stiegen für die zweite Hälfte des Wegs vom Gondellift in einen Sessellift um und genossen weiter die Aussicht. Die Kammlinie ist von Trails durchzogen, die man schon von Weitem erkennen kann. Durch den Sessellift erspart man sich den größten Teil eines brutalen, zermürbenden Anstiegs. Klar, es gibt eine Menge Leute, die 2.000 m Uphill für einen super Start in den Tag halten … aber ich gehöre nicht dazu. Dank des Sessellifts konnten wir über die Bergkämme hinweg an die richtigen Stellen gelangen und hatten immer noch Energie für die Abfahrt übrig.
Welches Bike würdest du wählen?
Als wir oben ankamen, schaute ich mir endlich die Bikes an, die wir an diesem Tag fahren würden – wow, das ganze Spektrum war abgedeckt!
- Axel – ein 26″ Specialized Enduro
- Lloyd – ein 29″ Trek Remedy 9
- Hugo – ein 29″ Mondraker Podium Pro SL Carbon-Hardtail
- Ich – ein 27,5″ Liteville 601 (mit 190 mm Federweg hinten und einer 180 mm RockShox Lyrik)
… Und los:
Unsere Tour startete mit umwerfenden Ausblicken auf die hohen Gipfel zur einen und den Genfer See zur anderen Seite. Ein schnelles Downhill-Stück über den ersten Kamm endete in einem sehr steilen und verblockten Anstieg, im Prinzip ein Ziegenpfad. Ich habe noch nie ein Bike länger auf den Schultern getragen und Lloyd zeigte uns die richtige Trage-Technik, mit der man sich nicht mit einem Kettenblatt irgendwelche Adern aufschlitzt. In entspanntem Tempo kletterten wir die ausgesetzte Flanke hinauf, bis sie sich öffnete und eine noch atemberaubendere Sicht freigab. Die Einsamkeit hier oben machte das Erlebnis noch intensiver. Nach einigen Minuten, in denen wir uns orientierten und ein paar Fotos schossen, starteten wir auf einem klassischen alpinen Trail, der sich über Wiesen und zwischen Bäumen hindurchzog. Ich hätte wohl kaum glücklicher sein können.
Unser erstes Tagesziel war die Alpage du Mouet, eine im Sommer bewirtschaftete Käsealm auf großer Höhe. Unser leichtes französisches Gourmet-Mittagessen wurde von einem hervorragenden Espresso abgerundet, von dem man sagt, es sei der beste im ganzen Tal. Ich weiß nicht, ob es etwas mit der Höhe oder der Aussicht zu tun hat, in jedem Fall war der Kaffee einfach fantastisch. Trotz der Entlegenheit dieses Ortes hatte ich mal wieder ein „Die-Welt-ist-ein-Dorf“-Erlebnis, als ein amerikanischer College-Student meinen Akzent hörte und rüberkam, um zu fragen, woher ich käme. Es stellte sich heraus, dass er aus Baltimore in Maryland stammte, was von meinem Zuhause in den Staaten nur etwa eine Stunde entfernt liegt. Den Sommer über hat er als Praktikant auf der Alm gearbeitet, um etwas über ökologische Landwirtschaft zu lernen. Vermutlich sollten mich solche Zufälle nicht mehr überraschen, aber ich hatte tatsächlich geglaubt, dass Tausende von Meilen, Gondel- und Sessellift und ein gutes Stück Singletrail durch die französischen Alpen mich weit genug rausgebracht hätten, um keine Nachbarn aus den Staaten zu treffen.
Die Fahrt ging weiter, mit allen Elementen, die man aus den schönen Artikeln in den Bike-Magazinen kennt: Es gab Singetrails, steile Downhill-Linien und mörderische Anstiege. Obwohl Lloyd ja nach der OP noch in der Genesungsphase war, machte er uns ganz schön fertig. Auf den Anstiegen dachte ich ein paar Mal wirklich, ich müsste mich übergeben, aber ich konnte mich dann doch ganz gut zusammenreißen. Wir hatten erstaunliches Glück mit sämtlichen Bikes, die keinerlei mechanische Probleme machten. Lloyd hatte keine Schwierigkeiten mit seiner Verletzung und zeigte auch sonst keine Ermüdungserscheinungen, Axel zerstörte nicht die Laufräder an meinem Bike, ich schaffte es ein Rad, das eher einem Downhill-Bike gleicht, durch die Berge zu pedalieren, aber Hugo war der eigentliche Star des Tages: Zwar fuhr ich so schnell und hart, wie ich konnte, aber irgendwie gelang es mir nie, ihn abzuhängen – obwohl er ein Carbon-Hardtail fuhr. Er beschwerte sich kein einziges Mal, obwohl er den Berg hinunterhopste wie ein Flummi und mit eisernem Griff am Lenker hing. Er ist einfach ein Kämpfer.
Es ist kein Abenteuer bis etwas kaputt geht
Ein Problem hatten wir dann doch, allerdings erst, als wir schon am Fluss entlang zurück Richtung Châtel pedalierten. Hugos Teleskopsattelstütze verweigerte die Arbeit und blieb nicht oben, sodass es aussah, als würde er ein Dirt Jump Bike fahren. Lloyd dachte über das Problem nach, während wir weiterfuhren und dann hielten wir an, damit er kreative Sofortmaßnahmen durchführen konnte. Es erinnerte extrem an MacGyver, wie er eine Metallsäge, Panzertape und Kabelbinder heraussuchte und eine improvisierte Schiene bastelte, die die Sattelstütze oben hielt. Zu unserer aller Überraschung funktionierte es aber einwandfrei.
Nach der Tour musste Lloyd zurück zur Arbeit und nach Genf fahren, um Kunden abzuholen. Axel und ich verabschiedeten uns und kauften im Supermarkt Bier. Wie es sich nach einer solchen Tour gehört, suchten wir uns ein nettes Plätzchen am Fluss, um uns zu erfrischen und unsere Beine im Wasser zu kühlen. Wir mussten lachen, weil uns Lloyd auf seinen Hometrails dermaßen gezeigt hatte, wo der Hammer hängt. Aber wir waren superglücklich darüber, dass der Tag noch besser gelaufen war, als wir es uns erhofft hatten. Wir hatten weder die Trails noch Lloyd gekannt und eigentlich nicht mal gewusst, wo wir sind, und trotzdem hatten wir einen fantastischen Tag erlebt. Um zu einer großartigen Tour zu kommen, muss man manchmal einfach nur die richtigen Leute kennen.
Weiter Infos findet ihr hier: Châtel | Professional Transfers | The Rider Social | Blue Chilli Snowsports | Alpage du Mouet
Hat euch der Artikel gefallen? Dann werft doch einen Blick auf den Rest der Serie: Einführung | Freiburg | Goodbye Germany | Stromberg | Wie klein die Welt doch ist | Mein erster Biketrip in Europa | Let The Games Begin! | Zu Besuch bei den Shapern von Chatel | Roanoke – A Diamond in the Rough, Teil 1
Text & Bilder: Evan Phillips
Hat dir dieser Artikel gefallen? Dann würde es uns sehr freuen, wenn auch du uns als Supporter mit einem monatlichen Beitrag unterstützt. Als ENDURO-Supporter sicherst du dem hochwertigen Bike-Journalismus eine nachhaltige Zukunft und sorgst dafür, das die Mountainbike-Welt auch weiter ein kostenloses und unabhängiges Leitmedium hat. Jetzt Supporter werden!