Fräskunst made in Germany: NICOLAI tritt mit dem SATURN 14 Swift HRZ im großen Trail-Bike-Vergleichstest an. Typisch für die Marke: ein mehr als individuelles Rahmendesign. Das Light-E-Mountainbike kommt mit 150/140 mm Federweg und Bosch Performance Line SX-Motor – der soll dem NICOLAI bergauf ordentlich Schub geben. Reicht der Boost fürs Treppchen?

NICOLAI SATURN 14 Swift HRZ | Bosch Performance Line SX/400 Wh | 150/140 mm (v/h)
20,9 kg in Größe L | 11.999 € | Hersteller-Website

NICOLAI SATURN 14 Swift HRZ … HRZ? Was ist das denn? HRZ ist Skelettschrift für das bis zu 1.141 m hohe Mittelgebirge Harz in Deutschland – und Namensgeber für das Top-Modell des SATURN Swift. Hier trifft filigrane CNC-Fräskunst auf ausgeklügelte Maschinenbau-Konstruktionen und einen umfangreichen Farbkonfigurator. NICOLAI hat ihren Firmensitz in der Nähe von Hannover und ist schon lange vorwiegend im deutschsprachigen Bike-Business vertreten. Einzigartig im Testfeld: Das Bike mit der Extraportion Wiedererkennungswert und dicken Schweißnähten wird komplett in Deutschland produziert. Der wuchtige Alu-Rahmen trifft auf den Bosch Performance Line SX-Motor und sorgt so für eine eher außergewöhnliche Kombination: ein Light-E-Mountainbike aus Alu mit einem Gewicht von 20,9 kg. Damit ist das NICOLAI das schwerste Bike im Test und wechselt für 11.999 € den Besitzer.

Einen Überblick über diesen Vergleichstest erhaltet ihr hier: Das beste Trail-Bike 2024 – Die 15 spannendsten Bikes im großen Vergleichstest

Das NICOLAI SATURN 14 Swift HRZ 2023 im Detail

Der Alu-Rahmen des NICOLAI ist (Hand)made in Germany. Und das steht auch dick auf der bremsseitigen Kettenstrebe. Aber genau in solchen rustikalen Details liegen die Besonderheiten des NICOLAI SATURN 14 Swift. Die Kabelführung durch den Steuersatz ist untypisch für NICOLAI? Korrekt. Darum ist das auch nur an unserem Test-Bike der Fall und in Serie laufen die Leitungen erst im Unterrohr in den Rahmen. Am Hinterbau sind sie dann ganz extern verlegt und mit Kabelbindern befestigt. Der Kettenstrebenschutz ist etwas klein geraten und schützt nur die Oberseite – unterdrückt aber dennoch erfolgreich Kettenschlagen. Dort ist er nur aufgeklebt und schaut etwas grob aus, passt aber zum wuchtigen Maschinenbau-Charme des Bikes. Da es sich bei unserem Test-Bike um ein Vorserien-Modell handelt, sind nicht alle Detaillösungen – wie z.B. das rustikale Motorcover – im finalen Zustand.

Die Ausstattung des NICOLAI SATURN 14 Swift HRZ 2023

Das NICOLAI setzt auf die neueste Antriebseinheit im Light-E-Bike-Segment: den Bosch Performance Line SX-Motor. Dieser verfügt über 55 Nm Drehmoment und der dazugehörige Bosch Compact Tube-Akku liefert 400 Wh Kapazität. Gepaart ist das E-Antriebssystem mit einer großen Bosch LED-Remote am Lenker, deren LEDs die einzige Anzeige für Ladestand und Fahrmodus sind. Im Vergleich zur Konkurrenz fällt die Remote sehr klobig aus. Das Fahrwerk besteht aus einer FOX 36 Factory mit FIT4-Dämpfungskartusche, allerdings wird in Serie bereits eine GRIP2-Dämpfungskartusche verbaut. Die günstige und leichtere Dämpfungskartusche hat die Gabel mit 150 mm Federweg und Kashima-Beschichtung in unserem Test vor allem auf schnellen Trails massiv eingeschränkt. Hinten arbeitet ein FOX FLOAT X Factory-Dämpfer. Der glänzt mit guter Einstellbarkeit und holt 140 mm Federweg aus dem Heck. Dazu gibt’s beim NICOLAI noch die passende FOX Transfer Factory-Dropperpost mit 170 mm Hub und ebenfalls Kashima-Coating. Am Test-Bike hat diese problemlos funktioniert, allerdings haben wir mit dem Modell in der Vergangenheit bereits öfter schlechte Erfahrungen gemacht, da sie gerne unten „steckenbleibt“ und temperatursensitiv ist. Die Auszugslänge von 170 mm ist leicht unter dem Durchschnitt im Testfeld. Als exotischstes Bauteil im Vergleichstest sind die Stopper am NICOLAI zu nennen. Die Hope Tech 4 V4-Bremsen passen mit den gefrästen Hebeln und auffälligen Ausgleichsbehältern wunderbar zur Maschinenbau-Optik am NICOLAI. Obwohl die Bremse unfassbar stark zupackt, ist die hintere Bremsscheibe mit 180 mm Durchmesser schnell am Temperatur-Limit. Vorn wirkt die Bremse auf eine 200er-Bremsscheibe. Als Schaltwerk kommt SRAMs neueste X0 Transmission 12-fach-Schaltgruppe zum Einsatz. Diese sorgt für weiche Schaltvorgänge und macht besonders in Verbindung mit dem starken Bosch-Motor Sinn. Vorbau und Lenker am NICOLAI kommen von NEWMEN aus der EVOLUTION-Serie. Mit 760 mm Lenkerbreite kommt das Bike mit dem schmalsten Lenker im Testfeld. Die DT Swiss XM 1700-Laufräder sind aus Aluminium und erfahrungsgemäß sehr robust. Bereift sind die 29”-Räder mit Continental Kryptotal FR Reifen vorn und RE hinten. Beide setzen jeweils auf die mittelweichen Enduro-Karkasse mit einer Soft-Gummimischung.

Bergauf katapultiert euch der Bosch Performance Line SX-Motor kraftvoll und mühelos. Das Bike lässt keine Überschlagsgefühle aufkommen.

Wurfanker
Die Hope Tech 4 V4-Bremsen verzögern nicht nur super kraftvoll, sie ergänzen auch wunderbar die grobe Maschinenbau-Optik am NICOLAI.
Lightweight Strongman
Der Bosch Performance Line SX-Motor bietet ordentlich Power, wenn er mit einer sportlichen Kadenz gefahren wird, und bringt viel Spaß in den Uphill.
Blender
Die goldene Kashima-Beschichtung lenkt vom Innern ab. Die FIT4-Dämpfung an der FOX-Federgabel ist von schnell aufeinanderfolgenden Schlägen überfordert und neigt zum Verhärten.
Wer hat’s zu verantworten?
„Made in Germany“ schreibt sich NICOLAI nicht nur auf die Fahne, sondern auch auf die bremsseitige Kettenstrebe.
Schweißtropfen
Sauber gezogene Schweißnähte und Frästeile, soweit das Auge reicht. NICOLAI ist für seine hochwertige Alu-Verarbeitung bekannt und geschätzt.

NICOLAI SATURN 14 Swift HRZ

11.999 €

Specifications

Motor Bosch Performance Line SX 55 Nm
Battery Bosch CompactTube 400 Wh
Display Bosch System Controller
Fork FOX 36 Factory FIT4 150 mm
Rear Shock FOX FLOAT X Factory 140 mm
Seatpost FOX Transfer Factory 175 mm
Brakes Hope Tech 4 V4 200/180 mm
Drivetrain SRAM X0 Transmission 1x12
Stem NEWMEN EVOLUTION 35 mm
Handlebar NEWMEN EVOLUTION Alu 760 mm
Wheelset DT Swiss XM 1700 Alu 29"
Tires Continental Kryptotal FR, Enduro, Soft/Continental Kryptotal RE, Enduro, Soft 2,4"/2,4"

Technical Data

Size S M L XL XXL
Weight 20,9 kg

Specific Features

E-Bike

Tuning-Tipps: 200-mm-Bremsscheibe am Heck | Falls das nötige Kleingeld vorhanden ist, lohnt sich ein Update auf eine GRIP2-Kartusche.

Helm Troy Lee Designs Flowline SE | Brille 100% Glendale | Hip Pack Canyon Hip Bag
Shirt Northwave Bomb Jersey | Hose Northwave Bomb Long Pants | Schuhe Fizik Gravita Tensor

Die Geometrie des NICOLAI SATURN 14 Swift HRZ 2023

Die Geometrie der NICOLAI-Bikes präsentiert sich ebenso exklusiv wie die Marke selbst. Besonders auffällig sind die extrem langen Kettenstreben mit einer Länge von 452 mm, die sich über die Rahmengrößen von S bis XXL nicht verändern. Die lange Konstante kann zu einem unausgeglichenen Fahrgefühl beitragen. Ausgelegt ist das Bike für Fahrer von 164 cm bis 202 cm. Ein weiteres Merkmal ist das hohe Sitzrohr, das mit 455 mm bei einem Sitzwinkel von 76,5° recht ausladend erscheint. In Kombination mit einer 170 mm langen Sattelstütze kann das die Bewegungsfreiheit erheblich einschränken.

Größe S M L XL XXL
Oberrohr 594 mm 629 mm 650 mm 670 mm 695 mm
Sattelrohr 400 mm 440 mm 455 mm 475 mm 505 mm
Steuerrohr 110 mm 120 mm 130 mm 140 mm 155 mm
Lenkwinkel 64,8° 64,8° 64,8° 64,8° 64,8°
Sitzwinkel 76,5° 76,5° 76,5° 76,5° 76,5°
Kettenstrebe 452 mm 452 mm 452 mm 452 mm 452 mm
Tretlagerabsenkung 30 mm 30 mm 30 mm 30 mm 30 mm
Radstand 1.221 mm 1.258 mm 1.283 mm 1.304 mm 1.333 mm
Reach 447 mm 480 mm 500 mm 517 mm 538 mm
Stack 611 mm 620 mm 629 mm 638 mm 656 mm

Das NICOLAI SATURN 14 Swift HRZ 2023 2023 auf dem Trail

Das NICOLAI präsentiert sich im Test als eigenwilligstes Bike. Steigt man das erste Mal auf, fühlt man sich nicht besonders tief ins Bike integriert, sondern stattdessen eher oben aufgesetzt. Trotz des langen Reach von 500 mm in Größe L fällt die Sitzposition durch den steilen Sitzwinkel kompakt und aufrecht aus. So lassen sich auch lange Touren entspannt bestreiten. Apropos lang: Der Akku mit 400 Wh sorgt für eine gute Reichweite und bremst größere Ambitionen nicht vorzeitig aus. Schön: Im Uphill schiebt der Bosch Performance Line SX-Motor mit 55 Nm kraftvoll an, wenn man ihn mit hoher Trittfrequenz bespielt. Durch die langen Kettenstreben kommt auch auf den steilsten Uphill-Passagen kein Überschlagsgefühl auf und man muss nicht viel Körpergewicht nach vorn verlagern.

Eine Augenweide für Maschinenbauer und Schweißnaht-Fetischisten: Das NICOLAI glänzt durch Handarbeit made in Germany.

Nach dem entspannten Uphill startet man mit dem Fräskunstwerk aus Mitteldeutschland in die Abfahrt. Hier bleibt zuerst mal das „ben-aufgesetzt-Gefühl“ bestehen und man bringt automatisch viel Druck auf die Front. So wird das Bike auch aktiver übers Vorderrad gefahren als durch intuitive Gewichtsverlagerung wie bei anderen Bikes. Das erzeugt vor allem bei seitlichen Schlägen oder in schmalen Rinnen ein hohes Unwohlsein. Denn Seitenschläge bringen das NICOLAI schnell aus der Ruhe. Zusammen mit dem 760 mm schmalen Lenker hat man weniger Hebel, um den Seitenkräften effektiv entgegenzuwirken. Schnell aufeinanderfolgende Kurvenwechsel bleiben auf dem NICOLAI eher Utopien mit hohem Krafteinsatz. Hier ist viel Input nötig und es erinnert an Stepptanz mit Betonschuhen. Durch das lange Heck entsteht zudem das Gefühl eines nachlaufenden Hinterrads. Das macht das Bike träge. Umgekehrt erwartet man die Stärken des NICOLAI jetzt auf schnellen Geradeaus-Etappen … Das trifft aber nur begrenzt zu. Das NICOLAI ist auf jeden Fall laufruhiger als agil. Dennoch zeigt sich die Front ab einem gewissen Tempo auf rauem Untergrund überfordert – die FOX mit FIT4-Dämpfungskartusche im Vorserien-Testrad kommt nicht hinterher und kostet den Piloten Sicherheitsempfinden. Schade, denn eigentlich bietet der Hinterbau eine gute Portion Gegenhalt, das heißt: Euer Input verpufft nicht im Fahrwerk, sondern lässt sich aktiv anwenden, um durch Wellen zu pushen oder auch mal abzuziehen. Immerhin sind die Hope Tech 4 V4-Bremsen ein guter Rettungsanker, wenn das komplexe Handling die Laufruhe auf schnellen Trail-Stücken stört und – im Gegensatz zur Länge des Bikes – Unsicherheit vermittelt. Übrig bleibt ein Fahrgefühl, so exotisch wie das Bike selbst.

Für wen ist das NICOLAI SATURN 14 Swift HRZ 2023?

Das NICOLAI richtet sich klar an Markenliebhaber und Schweißnaht-Fetischisten. Alle Maschinenbauer, die sich am liebsten selbst ein Bike zusammengebrutzelt hätten, sind hier gut aufgehoben. Als Alu-Light-E-Mountainbike ist das NICOLAI eine absolute Seltenheit in seiner Gattung und ihr seht wahrscheinlich so schnell kein Zweites davon. Außerdem richtet es sich natürlich an alle Uphill-Enthusiasten, die trotz Light-Support auf keine Uphill-Challenge verzichten möchten und im Downhill bestenfalls nicht die engsten Spitzkehren bewältigen müssen.

FAHREIGENSCHAFTEN

UPHILL

  1. schwerfällig
  2. effizient

AGILITÄT

  1. träge
  2. verspielt

LAUFRUHE

  1. nervös
  2. laufruhig

HANDLING

  1. fordernd
  2. gutmütig

FAHRWERK

  1. unsensibel
  2. feinfühlig

FAHRSPAß

  1. langweilig
  2. lebendig

PREIS-LEISTUNG

  1. schlecht
  2. sehr gut

EINSATZBEREICH

Cross Country

Trail

Enduro

Downhill

Das Fazit zum NICOLAI SATURN 14 Swift HRZ 2023

Eigenwillige Optik trifft eigenwilliges Fahrgefühl: Das NICOLAI SATURN 14 Swift HRZ 2023 ist exotisch auf ganzer Linie – Fahrgefühl, Fertigung, Herstellung. Die filigranen Frästeile, Alu-Rohre und dicken Schweißnähten heben es von der Masse ab. Aber auch das Fahrverhalten ist außergewöhnlich. Man muss sich stark auf das Bike einlassen und das besondere Handling trübt den Fahrspaß. Das kostet Punkte und sorgt für einen der hinteren Ränge im Testfeld.

Tops

  • made in Germany
  • exklusive Maschinenbau-Optik

Flops

  • eigenwilliges Handling mit hohem Gewöhnungsfaktor
  • Ausstattung nicht konsequent passend zum Einsatzgebiet

Mehr Informationen findet ihr unter nicolai-bicycles.com

Das Testfeld

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Text: Julian Schwede Fotos: Peter Walker

Über den Autor

Julian Schwede

Juli ist es gewohnt, mit großen Kalibern umzugehen. Er schraubt nicht nur gerne an seinem Bike, sondern hat nach seiner Ausbildung zum KFZ-Mechatroniker an der Königsklasse der Kraftfahrzeuge – Omnibussen – getüftelt und gewerkelt. Als ihm die Entwicklung auf Elektroantriebe im Großformat zu langsam ging, hat er technische BWL studiert und nebenher Tische aus Carbon gebaut. Während sein Dirtbike aus dicken Alu Rohren geschweißt ist, besteht sein Fully ebenfalls aus den schwarzen Fasern und hat ihn schon auf einige Gipfel gebracht. Doch auch angeseilt erklimmt er Berge gern über Klettersteige oder senkrecht an der Wand. Mittlerweile fährt er statt seinem eigenen Bike fast nur noch Bikes aus dem Office-Keller und testet sie auf Leib und Lenker. Neben Bike Reviews kümmert Juli sich auch um das tägliche Newsgeschäft und bezeichnet sich selbst als rasenden Reporter “Carlos Columbus”.