Versteckspiel – das SCOTT Genius ST 900 Tuned sieht nach weniger aus, als es ist. Die 150 mm am Heck sind samt Dämpfer und Umlenkwippe vom Carbonrahmen umschlossen. Dennoch – oder gerade deswegen – hat es SCOTT geschafft, das Gewicht auf rekordverdächtige 13,6 kg zu drücken. Ist das zweitleichteste Bike im Test ein Schwergewicht in Sachen Trail-Performance?

SCOTT Genius ST 900 Tuned | 160/150 mm (v/h)
13,6 kg in Größe L | 10.999 € | Hersteller-Website

Wenn man mit dem SCOTT Genius ST unterwegs ist, muss man sich öfter E-Biker-Vorurteile anhören als ein Snowboarder Hate auf der Piste. Trotz geräuschlosem Vorankommen lässt der ausladende Tretlagerbereich sofort einen Motor im Rahmen vermuten – Fehlanzeige. Der Dämpfer des SCOTT wurde vertikal ins Sitzrohr integriert und sorgt für den voluminösen Rahmen – so clean sieht kein Bike im Test aus. Das Versteckspiel lässt sich SCOTT mit 10.999 € bezahlen. Dafür bekommt ihr eines der leichtesten Trail-Bikes mit 160/150 mm Federweg von der Stange.

Einen Überblick über diesen Vergleichstest erhaltet ihr hier: Das beste Trail-Bike 2024 – Die 15 spannendsten Bikes im großen Vergleichstest

Das SCOTT Genius ST 900 Tuned 2023 im Detail

Die Detaillösungen des SCOTT Genius ST sind so gut integriert, dass sie kaum auffallen. So verlaufen die Leitungen entlang des einteiligen Cockpits direkt ins Steuerrohr. Im Vorbau-Bereich ist eine große Blende, die für einen cleanen Abschluss sorgt. Das macht zwar alles etwas voluminöser, wirkt aber aufgeräumt. Und auch der Hörsinn wird nicht strapaziert, denn am gesamten Bike ist für Ruhe gesorgt. Dafür sorgt u. a. der umfangreiche Kettenstrebenschutz mit seinen feinen Lamellen. In der Hinterradachse versteckt sich ein kleines, aber wichtiges Tool, das über einen Torx 25, Torx 30 und einen 6-mm-Inbus verfügt und mit dem sich so beide Räder ausbauen lassen. Denn an der Vorderradachse kommen beispielsweise ungewöhnlich TX25-Schrauben zum Einsatz. Der Unterfahrschutz ist gleichzeitig das Cover des innnenliegenden Dämpfers. Abgenommen wird es durch einen Druckknopf, der zuverlässig funktioniert, aber natürlich Dreckbeschuss ausgesetzt ist. Wollt ihr flink den Rebound nachstellen, muss man zwangsläufig in den Dreck fassen. Damit das Setup am Heck nicht zu kompliziert wird, gibt es am Drehpunkt einen magnetischen SAG-Indikator. So findet man den Negativfederweg easy und kann ihn auch alleine gut ablesen. Außerdem lassen sich nach der Fahrt damit auch Rückschlüsse auf etwaige Durchschläge ziehen.

Die Ausstattung des SCOTT Genius ST 900 Tuned 2023

Das Fahrwerk des SCOTT Genius ST 900 Tuned besteht aus einer Standard FOX 36 Factory GRIP2-Federgabel mit 160 mm. Die glänzt mit breitem Einstellbereich und Kashima-Beschichtung. Als Dämpfer kommt hingegen eine Sonderanfertigung von FOX zum Einsatz. Der FLOAT X Nude-Dämpfer holt 150 mm Federweg aus der Hinterbau-Kinematik und alle Verstellrädchen sind an die Unterseite verlegt – somit kommt man durch die Rahmenöffnung gut dran. Zum Einstellen bietet es sich an, das Bike auf den Kopf zu stellen. Im Falle eines Defekts oder der jährlichen Wartung am Dämpfer gestaltet sich der Ausbau natürlich umso komplexer und andere Dämpfer-Modelle lassen sich hier gar nicht erst verbauen. Zum Verzögern kommen die extra leichten Shimano XTR-Bremsen zum Einsatz, ausgestattet mit einer 200-mm-Bremsscheibe vorn und 180 mm hinten. Letztere ist zu klein und neigt auf langen, steilen Abfahrten zum Überhitzen. Leider ist ein Upgrade auf 200 mm hinten rahmenbedingt nicht freigegeben. Für Gangwechsel sorgt die SRAM X01 AXS-Gangschaltung. Diese schaltet 12 Gänge zuverlässig und elektrisch durch, bietet aber vor allem unter Last nicht so weiche Schaltvorgänge wie die neue Generation an SRAM Transmission-Schaltwerken. Komponenten wie Dropperpost, Cockpit und Laufräder kommen alle von der SCOTT-Eigenmarke Syncros. Die Duncan-Dropper verfügt über 170 mm Hub, die von einem kraftaufwendigen Daumenhebel verwaltet wird und zudem etwas kurz geraten ist. Die zuständige Remote teilt sich die Dropperpost mit dem TracLoc-Hebel. Das ist eine Drei-in-Eins-Lösung, über die auch der zweistufige Dämpfer-Lockout betätigt wird. Das einteilige Syncros Carbon Cockpit baut 780 mm breit und sorgt für einen besonders cleanen, integrierten Look an der Front. Durch die einteilige Ausführung lässt sich die Lenker-Rotation nicht separat einstellen und das Cockpit fällt insgesamt sehr steif aus. Spacer über die Steuersatzkappe packen, um den Lenker tiefer zu bringen, ist nicht möglich, ohne die integrierte Optik zu zerstören. Die Syncros Revelstoke 1.0 Carbon-Laufräder sind vorn wie hinten 29” groß und mit MAXXIS DHF vorn und DISSECTOR hinten bereift. Beide Reifen kommen nur in der harten MaxxTerra-Gummimischung und mit der dünnsten EXO-Karkasse. Da ist nicht viel mit Pannenschutz und bei Nässe geht auch einiges an Grip flöten – mal abgesehen von den teuren Carbon-Laufrädern, die bei schneller Fahrweise einen teuren Totalschaden erleiden können.

Das SCOTT geht so effizient den Berg rauf wie sonst nur die E-Bikes im Testfeld – nur, dass sich hinter dem voluminösen Rahmen keine E-Maschine verbirgt.

Push the Button
Auf Knopfdruck öffnet sich das Cover im Tretlagerbereich. Bei Regenfahrten muss man allerdings in den Matsch fassen.
Door to Heaven
Hinter dem Cover verbirgt sich der FOX FLOAT X Nude-Dämpfer, an dem alle Einstellrädchen auch durch die kleine Öffnung leicht zu erreichen sind.
Dickes Ding
Alle Züge und Leitungen laufen direkt am einteiligen Cockpit hinter einer Blende in den Steuersatz. Das trägt zwar auf, macht aber eine sehr cleane Front.
Daumen-Wrestling-Endgegner
Der TracLoc-Hebel integriert zwei Hebel in einem Bauteil: den für den Lockout und den für die Dropperpost. Das braucht etwas Eingewöhnungszeit bei der Bedienung.
Mini Minitool
Der Schnellspannhebel in der Hinterradachse beherbergt Torx 30, 25 und 6-mm-Inbus. Das reicht für den Radwechsel und zum Nachziehen des Hinterbaus.

SCOTT Genius ST 900 Tuned

10.999 €

Specifications

Fork FOX 36 Factory GRIP2 160 mm
Rear Shock FOX FLOAT X Nude 150 mm
Seatpost Syncros Duncan 170 mm
Brakes Shimano XTR 200/180 mm
Drivetrain SRAM X01 AXS 1x12
Stem Syncros 40 mm
Handlebar Syncros Carbon Onepiece 780 mm
Wheelset Syncros Revelstoke 1.0 Carbon 29"
Tires MAXXIS DHF, EXO, MaxxTerra/MAXXIS DISSECTOR, EXO, MaxxTerra 2,6"/2,6"

Technical Data

Size S M L XL
Weight 13,6 kg

Specific Features

Tool in Steckachse

Tuning-Tipp: Cockpit bzw. Lenker mit mehr Compliance nachrüsten

Helm Scott Tago Plus | Brille Oakley Sutro | Hip Pack Evoc Hip Pack 3 | Shirt Rapha Trail Jersey
Hose Sweet Protection Hunter Pants | Schuhe Northwave Overland Plus | Handschuhe POC Resistance

Die Geometrie des SCOTT Genius ST 900 Tuned 2023

Das SCOTT Genius ist in vier Größen von S–XL erhältlich, wobei die Geometriewerte in keine Richtung Extreme zeigen. Der Reach reicht von 430 mm in S bis 510 mm in Rahmengröße XL und deckt damit Fahrergrößen von 1,65 bis 1,95 m ab. Der Lenkwinkel entspricht mit 64,5° genau dem Durchschnitt des Testfelds und lässt sich durch Drehen der Lagerschalen noch um 0,6° in beide Richtungen verstellen. Dafür muss man das Cockpit nur leicht anheben und nicht komplett abnehmen – top. Die Kettenstreben sind in allen Größen 440 mm lang und wachsen nicht mit. Das kann für ein unausgewogenes Fahrgefühl in den Randgrößen führen.

Größe S M L XL
Oberrohr 570 mm 602 mm 631 mm 659 mm
Sattelrohr 380 mm 410 mm 440 mm 470 mm
Steuerrohr 90 mm 100 mm 120 mm 135 mm
Lenkwinkel 64,5° 64,5° 64,5° 64,5°
Sitzwinkel 76,8° 77,1° 77,2° 77,4°
Kettenstreben 440 mm 440 mm 440 mm 440 mm
Tretlagerabsenkung 33 mm 33 mm 33 mm 33 mm
Radstand 1.195 mm 1.229 mm 1.263 mm 1.294 mm
Reach 430 mm 460 mm 485 mm 510 mm
Stack 617 mm 626 mm 644 mm 658 mm

Das SCOTT Genius ST 900 Tuned 2023 auf dem Trail

Geht es bergauf, glänzt das SCOTT mit einer Uphill-Performance, die beinahe auf E-Bike-Niveau liegt – wo man fast schon wieder dem eingangs erwähnten E-Bike-Nachruf ausgesetzt wäre. So straff und effizient wie das SCOTT ging sonst kein Push-Bike den Berg rauf. Dabei sind besonders die leichten Laufräder und Reifen mit geringem Rollwiderstand zu spüren. Aber auch der effiziente Hinterbau inklusive TracLoc trägt einen Teil zur Bergauf-Bestnote bei. Der TracLoc ist in der ersten Stufe kein Lockout, sondern sorgt hauptsächlich dafür, dass der Dämpfer auf einem höheren Federwegsplateau bleibt und nur träge ein- und ausfedert – das erhöht Traktion und Effizienz. Dennoch fühlt sich die Lenkerremote mit den drei Hebeln zu Beginn überfrachtet an und man muss erstmal durchblicken, was man betätigt. Die Sitzposition ist ausgewogen und weder Hände noch Hintern bekommen zu viel Druck ab. So sind auch längere Touren auf dem SCOTT entspannt möglich.

Bergab lässt sich mit dem SCOTT viel Speed durch geleckte Anlieger generieren, aber bei schnellen, rauen Passagen mangelt es ihm an Traktion.

Zeigt der Lenker Richtung Abfahrt, offenbart das SCOTT Genius ST 900 eine ausgewogene Balance zwischen Front und Heck. Allerdings fühlt man sich auch etwas hoch auf dem Bike platziert als tief integriert. Das vermittelt vor allem bei steilen Bergab-Passagen weniger Sicherheit. Schade, denn sonst lässt sich das Bike sehr intuitiv und mit wenig Eingewöhnungszeit bewegen. Geht man auf den Trail, fällt schnell das sehr straffe Fahrwerk auf. Große Schläge werden direkt zum Fahrer durchgereicht und auch bei 30% SAG fühlt sich das Heck nach deutlich weniger Federweg an als bei der Konkurrenz. Beispielsweise fühlt sich das Santa Cruz Hightower mit nominal 10 mm weniger Federweg am Heck dennoch potenter an. Dazu kommt das insgesamt sehr steife Rad, seien es der Carbon-Rahmen, das einteilige Carbon-Cockpit oder die Carbon-Laufräder mit pannenanfälligen Reifen, die viel Luftdruck verlangen. Auf schnellen Unebenheiten kostet das ordentlich Traktion und aufmerksames Fahren. Alles ist sehr steif und bietet wenig Compliance. Das macht das Bike einerseits super präzise auf der Abfahrt, andererseits aber auch wenig fehlerverzeihend und impulsiv wie ein Kind mit ADHS. Das Positive daran: Wenn ihr das Bike genauso unermüdlich fahrt, ermöglicht es euch, super schnelle Linienwechsel und Geschwindigkeit durch Anlieger mitzunehmen wie kein zweites Bike. Auch die Möglichkeit, spontan abzuziehen oder die Richtung zu wechseln, scheint auf dem SCOTT unendlich, denn es bietet immer mehr als genug Gegenhalt. Die Kehrseite: Das Genius ST schüttelt euch so richtig durch und langfristig sorgen die Vibrationen für Ermüdung und zehren an den Kräften. Da das Bike so wenig fehlerverzeihend ist, sind gerade Einsteiger schnell überfordert und können der schnellen Pace nicht folgen, die das SCOTT vorgibt. So tritt schnell Überforderung ein und der Fahrspaß geht runter – Ritalin, um das SCOTT ein bisschen ruhiger zu machen, ist nicht in Sicht.

Für wen ist das SCOTT Genius ST 900 Tuned?

Das SCOTT Genius ST spricht vor allem erfahrene Piloten an, die schnell und effizient unterwegs sein wollen und einen sehr präzisen Fahrstil pflegen. Auf langen Touren ist das SCOTT – auch dank einzigem Lenker-Lockout im Test – super effizient zu treten. Alle Kraft geht direkt ans Hinterrad und die Zeiger stehen auf Sprint. So sind auch lange Touren mit Uphill-Fokus wie eine Alpenüberquerung auf dem SCOTT durchaus denkbar. Von dem sehr steifen und direkten Fahrverhalten des SCOTT profitieren Einsteiger dann allerdings weniger.

FAHREIGENSCHAFTEN

UPHILL

  1. schwerfällig
  2. effizient

AGILITÄT

  1. träge
  2. verspielt

LAUFRUHE

  1. nervös
  2. laufruhig

HANDLING

  1. fordernd
  2. gutmütig

FAHRWERK

  1. unsensibel
  2. feinfühlig

FAHRSPAß

  1. langweilig
  2. lebendig

PREIS-LEISTUNG

  1. schlecht
  2. sehr gut

EINSATZBEREICH

Cross Country

Trail

Enduro

Downhill

Das Fazit zum SCOTT Genius ST 900 Tuned

Der Integrations-Award geht raus ans SCOTT Genius ST 900 Tuned! Kein anderer Hersteller im Test verpackt so viel Technik so clean ins Bike wie SCOTT. Aber auch das Fahrverhalten hebt sich ab und stellt das SCOTT als eines der direktesten Bikes heraus. Das macht es manchmal schwer zu beherrschen und erfordert einen aktiven, aufmerksamen Fahrstil. So spricht es eher Uphill-Enthusiasten und Fortgeschrittene an – vor allem diejenigen darunter, die sehr viel Wert auf Integration legen und auch das SCOTT-Preisschild in Kauf nehmen.

Tops

  • direktes effizientes Fahrverhalten
  • cleanster Rahmen und cleanste Hinterbau-Integration und -Optik
  • holt sich die analoge Uphill-Kom

Flops

  • schlechte Reifen-Kombination
  • forderndes Handling und zu straffes Fahrwerk für Einsteiger

Mehr Informationen findet ihr unter scott-sports.com

Das Testfeld

Einen Überblick über diesen Vergleichstest erhaltet ihr hier: Das beste Trail-Bike 2024 – Die 15 spannendsten Bikes im großen Vergleichstest

Alle Bikes im Test: Cannondale Habit LT 1 (Zum Test) | Cube ONE55 C:62 SLT 29 (Zum Test) | Ghost RIOT Trail Full Party (Zum Test) | Merida ONE-FORTY 10K (Zum Test) | Mondraker Neat RR SL (Zum Test) | Nicolai Saturn 14 Swift HRZ (Zum Test) | Orbea Occam LT M10 (Zum Test) | Santa Cruz Heckler SL XX AXS RSV (Zum Test) | Santa Cruz Hightower X0 AXS RSV (Zum Test) | Scor 2030 X01 (Zum Test) | SCOTT Genius ST 900 Tuned | Specialized S-Works Turbo Levo SL (Zum Test) | Trek Fuel EX 9.9 X0 AXS T-Type (Zum Test) | Yeti SB140 LR T3 X0 (Zum Test) | YT JEFFSY CORE 5 CF (Zum Test)


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Text: Julian Schwede Fotos: Peter Walker

Über den Autor

Julian Schwede

Juli ist es gewohnt, mit großen Kalibern umzugehen. Er schraubt nicht nur gerne an seinem Bike, sondern hat nach seiner Ausbildung zum KFZ-Mechatroniker an der Königsklasse der Kraftfahrzeuge – Omnibussen – getüftelt und gewerkelt. Als ihm die Entwicklung auf Elektroantriebe im Großformat zu langsam ging, hat er technische BWL studiert und nebenher Tische aus Carbon gebaut. Während sein Dirtbike aus dicken Alu Rohren geschweißt ist, besteht sein Fully ebenfalls aus den schwarzen Fasern und hat ihn schon auf einige Gipfel gebracht. Doch auch angeseilt erklimmt er Berge gern über Klettersteige oder senkrecht an der Wand. Mittlerweile fährt er statt seinem eigenen Bike fast nur noch Bikes aus dem Office-Keller und testet sie auf Leib und Lenker. Neben Bike Reviews kümmert Juli sich auch um das tägliche Newsgeschäft und bezeichnet sich selbst als rasenden Reporter “Carlos Columbus”.